Samstag, 19. Juni 2004

»In Deine Hände lege ich mein Leben«


Lieber Tim, liebe Eltern, Verwandte und Freunde,
durch die Taufe, sagt man, werden die Kinder in den Verband der Kirche eingegliedert, - auch rechtlich. Man denkt dabei an den Bestand der Kirche samt der Kirchensteuer. Wir denken an die gesellschaftlichen Chancen unseres Kindes: Im Kindergarten soll es keine Nachteile haben. Religionsunterricht, Erstkommunion, Ferienfahrten usw. - da soll Tim nicht daneben stehen. Und die meisten anderen Kinder in der Umgebung sind ja auch getauft.

Aber: „Eingliederung“? – Widerspricht das nicht eigentlich eher dem, was wir uns für unser eigenes Leben – und für Tims Leben – wünschen? Widerspricht das nicht dem Streben, ganz wir selbst zu sein? Wir bemühen uns doch eher um Selbstfindung als um das Einfügen in eine Gruppe. Originalität ist heute gefragt. Nicht die Übernahme angebotener Verhaltens- und Sichtweisen. Ist das nicht demütigend? Abhängig zu sein von einer Gemeinschaft? Mein Leben bestimme ich selber, sagen wir. Es geht niemanden etwas an, was ich denke und tue. Dem Interesse der anderen an unserem Leben begegnen wir skeptisch. Denn wir riskieren Einmischung, Kritik, Belehrung. Wir haben da unsere Erfahrung. Öffentliches Leben, Leben, das wir anderen mitteilen, wird schutzloser, empfindlicher, verletzbarer. Wir setzen es dem Urteil der anderen aus. Wir sind nicht sicher vor dem Urteil derer, die genau zu wissen meinen, was gut und böse, was notwendig und was überflüssig ist. Wir haben das Fürchten gelernt vor denen, die uns vorschreiben, welche Regeln wir unserem Leben geben sollen. Sollten wir Tim dann nicht lieber wünschen, dass er lernt, allein mit dem Leben fertig zu werden? Sollen wir ihm nicht lieber sagen: Verlass' dich auf niemanden. Lass' Dir nicht 'reinreden in Dein Leben. Sei dein eigener Herr.

Vor einiger Zeit war ich in unserer Kreisstadt Landsberg am Lech. Da lagen in einem Schaufenster für Schreibwaren kleine Spruchkärtchen und auf einer stand dann auch: „Nur ich selbst kann mich wirklich glücklich machen.“ – Ein innerliches Lächeln konnte ich mir da nicht verkneifen und ich habe mir den Spruch dann auch notiert, weil er mir einfach zu naiv und geistlos war. - Aber irgendwie passt das zum heutigen Lebensgefühl: Wir regeln das schon, - wir sind die Macher von heute. Wir sind aktiv, haben alle Hebel selbst in der Hand, - und wenn wir uns nur richtig bemühen - und nichts unversucht lassen - , dann wird schon alles klappen. – Und die Vorstellung, was aus Tim nun wird, läge allein in unsere Hand, stellt heute eine besondere Versuchung, - aber natürlich auch eine ungeheure Belastung dar.

Lieber Frank, liebe Elke!
Doch bei aller Sorge und Mühe, die Ihr für Tim übernommen habt: Wenn Ihr ehrlich seid, wisst Ihr: Das Wesentliche können wir ihm nicht geben und nicht garantieren. Ihr können die großen und kleinen Katastrophen nicht von ihm abhalten und haben auch nur begrenzte Möglichkeiten, den Weg von Tim zu lenken.

Taufe heißt für Euch, Frank und Elke: Ihr legt Tim in Gottes Hände und sagt damit: Du gehörst zu uns! - Aber : Du gehörst uns nicht! - Wir können mit Dir nicht machen, was wir wollen, sondern sind Gott gegenüber verantwortlich. Und wir wissen, dass Du in Gottes Hand einen Halt findest, der Dich Dein Leben lang - und darüber hinaus trägt.

Taufe bedeutet: Euer Kind der helfenden Macht Gottes anzuvertrauen. Ihr gebt Tim aus der Hand und bittet, dass Ihr Euch mit Euren Ängsten, Nöten und Sorgen um Euer Kind voll Vertrauen in Gottes Hände legen können. Und eines wird gleich bei der Taufe besonders deutlich: Gott sagt „ja“ zu Tim, nimmt Ihn an die Hand, bevor er selbst überhaupt richtig „ja“ sagen kann! Der erste Schritt geht also von ihm aus. Die Taufe ist ein Geschenk Gottes.

Und so wünsche ich Tim schließlich, dass er selbst einmal viele Erfahrungen der Geborgenheit und des Gehaltenwerdens in Gott macht. Ich wünsche Tim, dass er sein Leben ebenso zuversichtlich in Gottes Hände legen kann, wie es heute bei der Taufe seine Eltern und Paten - in Stellvertretung - für ihn tun. Im Abendgebet der Mönche, in der Komplet, heißt es: »In Deine Hände lege ich meinen Geist«. Und was gibt es für einen ernsthafteren und besseren Wunsch an unseren Täufling als den, dass Tim selbst einmal wird sagen können: »In Deine Hände lege ich mein Leben.« - Nimm Du es an und vollende, was alles unfertig und unheil geblieben ist. In Deinen Händen weiß ich mich aufgehoben - über meine eigene Kraft hinaus. Amen.

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Taufansprache für Tim T. am Samstag, den 19. Juni 2004
in der Pfarrkirche Christus-König in Oer-Erkenschwick