Samstag, 31. Dezember 2005

Johann Strauß: DIE FLEDERMAUS



Johann Strauss II
DIE FLEDERMAUS

The New Years Eve 1983 Royal Opera House, Covent Garden performance conducted by Placido Domingo.

Kiri Te Kanawa - Rosalinde,
Hildegarde Heichele - Adele,
Herman Prey - Eisenstein,
Doris Soffel - Prince Orlofsky.

Sonntag, 13. November 2005

ÜBER DEN "LITURGIE-INDEX", TALENTFÖRDERUNG UND FUSSMATTEN


Liebe Mitbrüder,
liebe Brüder und Schwestern!
Für mich gibt es immer ein ganz einfaches Kriterium, ob ein Evangelium besonders interessant und spannend ist, bevor man es überhaupt gelesen hat. Es ist - in der Regel - immer dann der Fall, wenn es auch eine sog. liturgische „Kurzfassung“ gibt, wenn also das Evangelium "zensiert" wurde. Auch heute werden zwei Fassungen zur Auswahl angeboten: Die „Langfassung“, die wir gerade gehört haben: Mit 405 Wörtern, - eigentlich gar nicht so lang. –

Und dann gibt es auch noch die völlig zusammengestrichene „Kurzfassung“, (wie wir sie gestern Abend in der Vigil gehört haben): Diese bricht nach 134 Wörtern einfach plötzlich ab – obwohl das überhaupt keinen Sinn macht – und endet mit den wunderschönen Worten an den ersten Diener: „Du bist ein treuer Verwalter gewesen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn.“ – Punkt. – Aus. –Vorbei. –
Der Rest wird verschwiegen: Vom Schicksal der anderen Diener erfahren wir nichts mehr. – Wahrscheinlich wird das leider heute in sehr vielen Pfarrgemeinden der Fall sein!

Liebe Brüder und Schwestern,
es gibt sehr wenige Dinge, die mich so richtig ärgern können. Aber das hier ein Gleichnis vollkommen verstümmelt und verbogen wird, frei nach dem Motto „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“, halte ich eigentlich schon für sehr fragwürdig: Halbe Wahrheiten sind keine Wahrheiten! Wahrheit ist unteilbar! – Wir alle haben ein Recht auf die ganze Wahrheit, - auf das ganze Evangelium. Ungekürzt! Ohne Zensur und ohne Index. - Niemand braucht vor dem Wort Gottes geschützt werden! Der Index der "verbotenen Bücher" würde 1967 abgeschafft. Es macht mich aber sehr nachdenklich, wenn einige Teile der Hl. Schrift, darunter auch einige Psalmen, einem neuen "Liturgie-Index" zum Opfer gefallen sind.

Ich kenne sogar einige Menschen, ich nenne sie die „Gut-Menschen“, die Christus teilweise sogar für „unchristlich“ halten. – Welche Ironie! – Es ist mittlerweile ziemlich weit gekommen, eben auch weil viele das Evangelium nur noch sehr bruchstückhaft kennen.

Werfen wir nun aber einmal den Blick auf das ganze Evangelium:
Beim Lesen ist mir da ein interessanter Seitenaspekt aufgefallen: Die "Talentförderung". –
Was tut der Herr eigentlich, um die Talente zu fördern? Er verteilt die Talente und dann...?

Und „dann reiste er ab“.

Der Herr gibt überhaupt keine schlauen Tipps und tolle Ratschläge, wie man die Talente anlegen und vermehren soll. – Denn das ist oft auch überhaupt nicht hilfreich, um Talente zu fördern. –
Wir alle – auch im Kloster – kennen Menschen und Mitbrüder, die mit (mehr oder weniger) gutgemeinten Ratschlägen nicht gerade sparsam umgehen. Und sie erreichen damit in der Regel genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich erreichen wollten. Denn jeder, der mit Ratschlägen überschüttet wird, sagt sich: Eigentlich traut der (oder die) mir wenig oder nichts zu. Es kommt dann meistens zu einer Blockade oder zu heftigen Gegenreaktionen, die der Sache dann nur wenig förderlich sind. –

Absolut tödlich sind in diesem Zusammenhang auch Vergleiche mit dritten:
„So wie der oder der musst Du das auch machen...“. Ein Beispiel: Ich war damals noch im Priesterseminar - als meine Mutter mir sagte: “Jetzt schau Dir doch ´mal die Talk-Show von Jürgen F. an. - So stelle ich mir einen guten Pfarrer vor! Da kannst Du was lernen! - So muss ein Pfarrer mit den Menschen reden...“ – Ich hab mir die Sendung angeschaut und dann nur gedacht: „Oh mein Gott! – Wie furchtbar!“ : Beinahe wäre ich in eine Berufungskrise geraten.

Mit ungefragten Ratschlägen oder Vergleichen sollte man bei erwachsenen Menschen wirklich sehr sparsam sein: „Schlaumichel-Aktionen“ fördern in der Regel Talente nicht.

Ganz anders versucht der Herr hier im Gleichnis die Talente zu fördern: Er „vertraut“ seinen Dienern sein Vermögen an und reist einfach ab. „Ihr alle habt mein Vertrauen und ich traue euch etwas zu. - Ich überlasse euch alle Entscheidungen!“, - das ist seine Botschaft. Und weiter heißt es: Er tat es so, dass keiner überfordert wurde. - Niemand muss alles können! - Der Herr kennt seine Leute, er kennt ihre unterschiedlichen Fähigkeiten. Und nach diesen Fähigkeiten traut er ihnen etwas zu, - vertraut er ihnen etwas an. Wenn uns jemand Vertrauen schenkt, dann regen sich in uns oft Kräfte, die wir sonst gar nicht kennen. Da trauen wir uns auf einmal auch Dinge zu, auf die wir aus eigener Phantasie gar nicht gekommen wären. – Ich glaube, das hilft oft weit mehr, als viele Ratschläge.

Liebe Brüder und Schwestern,
aber da ist dann immer noch die Frage: Was ist denn da schiefgelaufen bei dem dritten Diener?
Und gerade der dritte Diener ist es ja, mit dem man sich so gerne in eine Reihe stellt: Er hat weniger Talente bekommen als die anderen. – Etwas was wir alle – außer die, die die vielen Talente abbekommen haben – gut kennen: Das ist jemand eine Sportskanone ... Und ich bin eigentlich eine Flasche... Da kann jemand singen wie Fritz Wunderlich oder Pavarotti ... Und ich bin froh wenn ich ein paar richtige Töne treffe ... Da hat jemand Augen wie ein Adler ... Und ich bin ein Blindfisch ... Da kann jemand predigen wie der hl. Augustinus ... Und ich muss mir meine Predigt mühsam zusammenschreiben ... usw.

Ja, wir sehen uns oft gerne auf der Schattenseite des Lebens. – Und das ist wahrscheinlich auch genau der Fehler, den der dritte Diener gemacht hat: - Sobald man sich mit anderen vergleicht, wird man zwangsläufig klein, unzufrieden und gelähmt. Man bekommt es mit der Angst zu tun und beginnt sein Talent einzugraben.

„Weil ich Angst hatte“ – heißt es im Evangelium. - Angst vor wem und vor was?
Angst vor der Unscheinbarkeit seines eigenen Talents: Er konnte an sich selbst nicht mehr glauben! – Die Nicht-Akzeptanz seiner (von Gott gegebenen Gaben und Grenzen) kann Menschen in die Verzweiflung führen.

Thomas von Aquin, der große Theologe des Mittelalters, bringt es genau auf den Punkt: „Die größte Sünde des Menschen besteht darin, - verzweifelt nicht er selbst sein zu wollen!“. Ich denke, dass ist immer noch hochaktuell: „Die größte Sünde des Menschen besteht darin, - verzweifelt nicht er selbst sein zu wollen!“

Die Gegenwart bietet heute genügend Chancen, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen und seine Werk zum Lob Gottes leuchten zu lassen. - Jeder hat sein Talent. Jeder ist einmalig. – Jeder hat seine Lebensaufgabe zu erfüllen. – Genau daran will Jesus erinnern: Vertue dein Leben nicht, - lass deine Talente nicht brach liegen. - Mach was aus deinem Leben, damit du nicht eines Tages bestürzt sagen musst: Was ist bloß aus meinem Leben geworden?

Hier muss ich immer an eine Episode aus dem „Hauptmann von Köpenick“ (von Carl Zuckmayer) denken. - Diese kleine Geschichte möchte ich am Ende noch erzählen. – Den Berliner Dialekt musste ich leider weglassen, - der klingt genauso furchtbar wie mein Bayerisch. –

Also: Schuster Vogt, gerade aus dem Knast freigekommen, fragt sich, was er eigentlich bisher aus seinem Leben gemacht hat. Da er keine Aufenthaltsgenehmigung hat, bekommt er keine Arbeit. Und da er keine Arbeit hat, bekommt er keine Aufenthaltsgenehmigung.

Er sieht sich vor den Allmächtigen gestellt, und der fragt ihn: "Vogt, was hast du gemacht mit deinem Leben?" "Und ich, - ich muss dann sagen: Fußmatten! – Fußmatten habe im Gefängnis geflochten. - Und da sind sie dann alle drauf rumgetrampelt." – Und der Allmächtige schüttelt den Kopf und sagt: "Geh weg! – Ausweisung! – Dafür habe ich dir dein Leben nicht geschenkt!" -

Und dann ist es wieder nichts - mit der Aufenthaltsgenehmigung!

Liebe Brüder und Schwester,
Fußmatten bringen uns also nicht in den Himmel. –
Aber wir haben ganz bestimmt andere Fähigkeiten?! –
Und wer sein Talent eingegraben hat, der kann es jederzeit wieder ausgraben, damit es etwas wird, mit der "Aufenthaltsgenehmigung". - Amen.


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Predigt für den 33. Sonntag im Jahreskreis (A) am 13. XI. 2005 (Konventamt, St. Ottilien)
Evangeliumstext (Mt 5, 14-30)

Samstag, 29. Oktober 2005

Oft kopiert - nie erreicht

Der Bayreuther „Jahrhundert-RING“ von Patrice Chereau & Pierre Boulez
von Peter Bilsing

„Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ (Victor Hugo)

Seit Mitte 2005 gibt es nun den legendären Chereau-Ring wieder, neu aufgelegt und digital überarbeitet (5.1.DTS). - Ein Muss für jeden Wagner-Fan - ein echtes Juwel, wie ich finde.

Zwar darf man von einer über 25 Jahre alten Live-Aufnahme keine Wunder erwarten, doch was mit dem neuen Verfahren „AMSI II“ (= Ambient Surround Imaging) hier ins DTS-Format gesetzt wurde ist geradezu bahnbrechend. Diese neue ausgesprochen schonende Sound-Bearbeitungsmethode der EMIL BERLINER STUDIOS erlaubt die Konversion stereophoner Audiosignale in einen bemerkenswerten „5.1. Surround Sound“. Das Ergebnis ist so verblüffend, dass – eine entsprechend gute 5-Kanal-Anlage vorausgesetzt - sich der Zuschauer praktisch in die erste Reihe des Festspielhauses versetzt fühlt.

Musik und Gesang blühen neu auf. Überhaupt kein Vergleich mehr mit dem platten, rein stereophonen Klangbild alter Tage. Wagner wird hier wirklich dreidimensional hörbar, ohne dass man glaubt – wie bei manchen ganz neuen Aufnahmen – völlig unnatürlich mitten im Orchester zu sitzen. Hier wurde mit großer Liebe und Engagement nahe am natürlichen Klangfeld gearbeitet. Das Ergebnis kann sich nicht nur hören lassen, sondern ist unerhört.

Bei gutem Hardware-Equipment sitzt der Opernfreund geradezu beängstigend weit vorne. Durch die phänomenale Bildregie von Brian Large entstehen schon beinahe voyeuristische Perspektiven. Die beispielhaft bearbeiteten Bild- und Szenenübergänge in Zeitlupe beeindrucken mehr denn je, denn sie geben szenische Impressionen frei, die man auf dem Theater live im Festspielhaus so nie wahrgenommen hat, nicht wahrnehmen konnte.

Szenen wie jene beispielsweise (Finale 3.Akt, Walküre), wo die Kamera aus der Totale langsam und genau passend zur Musik auf den brennend vernebelten Brünhildenfelsen fährt und dann langsam Wotans schmerzverzehrtes Gesicht durch den Rauch sichtbar macht , bleiben genauso unvergesslich, wie das Götterdämmerungsfinale, wo die Kamera sich zum finalen Erlösungsthema dezent, fast fragend, wie die alleingelassenen Menschen, von der Bühne zurückzieht.



Und es sind die großen Künstler/Sängerdarsteller dieser Produktion, die es erlauben und aushalten, dass der Kameramann auch mal voll draufzoomen kann, fast auf Schweißperlen- bzw. Augenwimpernnähe. Large erkennt solche Momente und geht optisch bis zu einer fast schmerzlichen visualisierten Traumatisierung mancher Szenen. Das sind schon oscarreife Gipfel künstlerischer Darstellungskunst.

Brian Large erhöht und verstärkt damit den künstlerischen Wert dieser maßstabsetzenden Regiearbeit von Patrice Chereau auf einen Level, der den Begriff „Jahrhundertwerk“ in jeder Phase seiner Realisation neu erlebbar macht. Angesichts dieser gewaltigen Bildästhetik stockt gelegentlich der Atem und der Begriff der „Werktreue“ bekommt einen tieferen menschlichen Bezugspunkt – hier spricht das Herz, oder es schweigt.

Das schreibt jemand, der die Uraufführung anno 1976 in Bayreuth noch (als holdes Mitzwanziger-Bürschlein und unkritischer Wagner-Fanatiker) mit Buhs und Pfiffen begleitete und der mittlerweile – geläutert und deprimiert durch die unseligen Erfahrungen unzähliger Ringe im letzten Vierteljahrhundert – diese Fehleinschätzung spätjugendlicher Unerfahrenheit nun doch arg bereut.

Es wäre schade, wenn dieser einmalige RING nur auf dem (sicher diskutablen!) Niveau des rein sängerisch-musikalischen abgehandelt werden würde. Aber hatten die Klangfeuerwerk-Studio-Produktionen von Solti/Karajan nicht auch ihre Macken? Was bleibt, ist immer der Gesamteindruck des Gesamtkunstwerkes. Was dem einen sein Hotter, war dem anderen sein Vickers; und natürlich gab und gibt es bessere Siegmunds als Peter Hofman, aber nie mehr einen darstellerisch so überzeugend echten menschlichen Helden, der in seiner Liebe, wie seiner Tragik, unzählige Opernfreunde zu Tränen gerührt hat. War es nicht genau das, Wagner wollte; wahre Liebe zeigen?

Wer diesen Jahrhundert-Ring nun auf DVD noch mal durchleben darf, dem wird auch immer wieder die Ernsthaftigkeit und Seriosität dieser ungeheuren Regiearbeit vor Augen geführt und die Stringenz eines Konzeptes, dass 16 Stunden die Spannung hält und fesselt; wobei noch mal festzuhalten ist (man hört jetzt wirklich mehr!), dass die Balance von darstellerischer Leistung und gutem Gesang doch zu 100 Prozent stimmig ist. Von welchem RING kann man das guten Gewissens sonst sagen?

Er ist wie ein alter exzellenter Rotwein, der von Jahr zu Jahr besser wird.

Sonntag, 22. Mai 2005

"DIE WAHRHEIT IST HARTNÄCKIG!"


Liebe Mitbrüder, liebe Mitfeiernde!

Vor einigen Monaten verstarb mit 80 Jahren mein früherer Heimatpfarrer. 25 Jahre war er in unserer westfälischen Kleinstadtgemeinde tätig - und er hatte eine Begabung, die ich immer besonders bewundert habe: Mit wenigen und klaren Worten konnte er immer alles genau auf den Punkt bringen. Oft haben mich seine Sinnsprüche noch Jahre später zum Weiterdenken angeregt und mein Leben begleitet. Und auch für diese Predigt – was sagt mir eigentlich die Dreifaltigkeit – kam mir spontan einer seiner Leitsprüche in den Sinn: „Die Wahrheit ist hartnäckig!“ – Das gilt für das eigene Leben und für die Bibel auch.

Bevor wir also einen Blick in die Heilige Schrift werfen, zuerst einmal ein Blick in unser alltägliches Leben.

Ein plötzlicher Todesfall in der Familie oder auch schon eine Krankheit, die man nicht unbedingt erwartet hat, kann unser Leben vollkommen durcheinander bringen. Was vorher einfach und selbstverständlich war, läuft jetzt nicht mehr so weiter. Die „neue Wahrheit“ bekommt dann oft eine Hauptrolle im Alltag, mit der man dann leben muss. Und schnell macht man die Erfahrung: „Die Wahrheit ist hartnäckig!“

„Die Wahrheit ist hartnäckig“, - so könnten eigentlich viele Schlagzeilen lauten, wenn man heute eine Zeitung aufschlägt. Irgendwie kommt man da oft ins Staunen. In vielen Politik-Affären und Wirtschafts-Skandalen scheint sich die Wahrheit zwar oft nur sehr langsam durchzusetzen, aber irgendwie gelingt es anscheinend auch nur selten, sie dauerhaft zu unterdrücken.

Aber wir brauchen unseren Blick erst gar nicht in fremde Töpfe zu verwerfen: Schon bei jeder Beichte haben wir die Gelegenheit, unseren eigenen, weniger schönen Seiten zu begegnen. Und auch hier macht man dann - bei sich selbst - immer wieder die erstaunliche Beobachtung: „Die Wahrheit ist hartnäckig! - Aber im selben Moment erfährt man dann auch immer das Johannes-Wort : „Die Wahrheit wird euch frei machen!“ (Joh. 8,32) – Gott sei Dank - ist auch das wahr!

Liebe Bruder und Schwestern,
betrachten wir also nun (im zweiten Schritt ) das Johannesevangelium etwas genauer: Im Grunde dreht sich bei Johannes alles um den Begriff der Wahrheit. Die „Wahrheit“ steht bei Johannes im Mittelpunkt seiner Botschaft. – So hat mein Computer z. B. herausgefunden, dass Johannes das Wort „Wahrheit“ mehr als dreimal so häufig verwendet, als das Wort „Liebe“, über das ja sonst so viel und gerne gesprochen und gepredigt wird (22 : 7). Wenn man die theologische Hauptaussage von das Johannes mit wenigen Worten zusammenfassen möchte, so kann man das vielleicht am besten mit den folgenden Worten Jesu tun: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich... Wer mich gesehen hat, der hat auch den Vater gesehen.“ (Joh 14, 6ff). - Wer also Christus als den Sohn Gottes erkannt hat, hat auch die Wahrheit erkannt. – Und wer Christus nicht als den Gottessohn erkannt hat, der hat auch die Wahrheit nicht erkannt - und der hat auch das ewige Leben nicht, - das fügt das heutige Evangelium noch hinzu. –

Für viele Menschen klingen diese Worte ziemlich hart. -

Wer heute in unserer pluralistischen Gesellschaft über die Wahrheit spricht, und behauptet, er erkenne genau den Weg, der macht sich sehr schnell unbeliebt: – Wer noch einen klaren Glauben hat, gemäß dem Credo der Kirche, der wird heute schnell als „Fundamentalist“ abgestempelt. - Wer glaubt, er habe die wesentliche Wahrheit verstanden, wird als intolerant betrachtet. Aber dabei ist gerade der Ausschluss der Wahrheit – die ja bekanntlich so hartnäckig ist - wirklich schwer wiegend intolerant. Denn wer die Wahrheit ausschließt und nichts als endgültig anerkennt, reduziert die wesentlichen Dinge des Lebens nur auf sein eigenes Ich, auf seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche.

Auf diese Weise gibt es über viele wesentliche Dinge des Lebens auch keine gemeinsame Anschauung mehr. - Paulus beschreibt dieses Problem sehr schön: Wir sind oft wie unmündige Kinder, wie „ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben im Widerstreit der Meinungen“ (Eph 4, 14). – Eine immer noch sehr aktuelle Beschreibung! Alle Meinungen scheinen irgendwie gleichermaßen gültig zu sein.

Liebe Brüder und Schwestern,
die Krankheit der heutigen Gesellschaft ist genau diese „Gleichgültigkeit“: Da gibt es kein - wahr oder falsch – gut oder böse mehr. Hier kann jeder glauben und tun, was er persönlich für richtig hält. - Aber mit dieser Gleichgültigkeit verlieren wir auch die ethischen Grundlagen für ein gemeinsames Leben. – Und ohne gemeinsame Wahrheiten, ohne einen gemeinsamen Glauben der Einheit stiftet, wird ein friedliches Zusammenleben dauerhaft nicht möglich sein.

Gerade unter dieser Gleichgültigkeit, in der wir es uns so bequem eingerichtet haben, leiden wir auch. Das spürt man täglich mehr. Wir haben es so weit gebracht, dass wir mittlerweile stets dazu bereit sind, alles zu verstehen und alles zu verzeihen. Aber in unserem Inneren wissen wir im Grunde ganz genau, dass es damit nicht getan ist. Wir sehnen uns danach wieder klar unterscheiden zu können zwischen gut und böse, richtig und falsch, schön und hässlich, klug und töricht. - Ja, die Wahrheit ist wirklich hartnäckig!

Liebe Brüder und Schwestern,
aber wir haben bei unserer Suche nach klaren Antworten einen Helfer: Christus, den Sohn Gottes, der durch den heiligen Geist wahrer Mensch geworden ist. Unsere Glaube an den wahren Sohn Gottes zeigt uns die Kriterien um unterscheiden zu können, zwischen Wahr und Falsch, zwischen Betrug und Wirklichkeit.

Dabei ist Christus der ganz andere im Vergleich mit allen anderen Religionsstiftern. Er kann nicht einfach auf eine Stufe mit Buddha, Sokrates oder Konfuzius gestellt werden. Er ist wirklich der Sohn Gottes und trotzdem wahrer Mensch. Er verbindet Gott mit den Menschen. - Das ist absolut einzigartig und einmalig! – Der Gottessohn ist die Brücke zwischen Himmel und Erde. Christus nimmt an unserem Leben und Leiden teil und schafft so den Schritt zum wahren Leben in der Auferstehung.

Und Christus geht sogar noch einen Schritt weiter: In jeder Eucharistiefeier, wenn wir den Leib des Herrn empfangen, lässt er uns teilhaben an seiner Gottheit. - Das ist eine unendliche Gnade und unendliches Wunder. Wir schwachen Mensch haben Teil an der Gottheit Christi. - Uns schwachen Menschen wird damit eine unendlich große Würde verliehen, die absolut einmalig ist. – Auch diese unbegreiflich hohe Würde des Menschen wird man so in keiner anderen Weltreligion finden. – Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, ist die Brücke zwischen Himmel und Erde: Das ist eigentlich die ganze Wahrheit, die uns Johannes mitteilen möchte.

Noch eine kleine Geschichte am Ende: Mit 19 Jahren, kurz vor meinem Abitur, wusste ich noch gar nicht was ich studieren wollte. Ich wusste nur, dass ich irgendetwas sinnvolles machen wollte. - Aber das möchte natürlich eigentlich jeder. – Ja, vielleicht Mathematik, Physik, Deutsch oder Geschichte, das waren meine Abiturfächer. Oder vielleicht doch lieber Elektrotechnik oder Informatik, wie viele meiner Mitschüler, die heute Handys, Kühlschränke, Kaffeemaschinen und andere nützliche Dinge entwickeln. – Ich konnte mich einfach nicht durchringen. – Damals, als ich noch nicht Bibliothekar war, hatte ich noch viel Zeit zum Lesen. Da fiel mir plötzlich ein Buch in die Hand mit dem Titel: „Unsere Bischöfe“. - Insider kennen das Buch. – Und in diesem Buch fand ich auch eine Biographie von Papst Benedikt XVI. , damals noch Kardinal Ratzinger. Und dieser schon damals den tollen Bischofswahlspruch "COOPERATORES VERITATIS" - „Mitarbeiter der Wahrheit“. – Das hat mich damals genau ins Herz getroffen. - Da habe ich sofort gewusst, was ich auch werden und woran ich "mitarbeiten" wollte. – Wenige Wochen später habe ich mich im Priesterseminar in Münster angemeldet.

Liebe Brüder und Schwestern,
eines können Sie mir glauben: Dieses Gefühl, irgendwie ein ganz kleiner „Mitarbeiter der Wahrheit“ zu sein, lohnt sich. Und das gilt – mit allen Höhen und Tiefen - bestimmt nicht nur exklusiv für Päpste und Mönche. -

Und noch eins: „Die Wahrheit ist hartnäckig!“

AMEN.

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Predigt zum Hochfest der Hl. Dreifaltigkeit (A) am 22. Mai 2005 (Konventamt, St. Ottilien)
Evangeliumstext (Joh 3, 16-18)

Donnerstag, 10. März 2005

"Wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet..."

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Aus dem Vatikan, am 10. März 2009

Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!

Die Aufhebung der Exkommunikation für die vier von Erzbischof Lefebvre im Jahr 1988 ohne Mandat des Heiligen Stuhls geweihten Bischöfe hat innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche aus vielfältigen Gründen zu einer Auseinandersetzung von einer Heftigkeit geführt, wie wir sie seit langem nicht mehr erlebt haben. Viele Bischöfe fühlten sich ratlos vor einem Ereignis, das unerwartet gekommen und kaum positiv in die Fragen und Aufgaben der Kirche von heute einzuordnen war.

Auch wenn viele Hirten und Gläubige den Versöhnungswillen des Papstes grundsätzlich positiv zu werten bereit waren, so stand dagegen doch die Frage nach der Angemessenheit einer solchen Gebärde angesichts der wirklichen Dringlichkeiten gläubigen Lebens in unserer Zeit.

Verschiedene Gruppierungen hingegen beschuldigten den Papst ganz offen, hinter das Konzil zurückgehen zu wollen: eine Lawine von Protesten setzte sich in Bewegung, deren Bitterkeit Verletzungen sichtbar machte, die über den Augenblick hinausreichen.

So fühle ich mich gedrängt, an Euch, liebe Mitbrüder, ein klärendes Wort zu richten, das helfen soll, die Absichten zu verstehen, die mich und die zuständigen Organe des Heiligen Stuhls bei diesem Schritt geleitet haben. Ich hoffe, auf diese Weise zum Frieden in der Kirche beizutragen.

Eine für mich nicht vorhersehbare Panne bestand darin, daß die Aufhebung der Exkommunikation überlagert wurde von dem Fall Williamson. Der leise Gestus der Barmherzigkeit gegenüber vier gültig, aber nicht rechtmäßig geweihten Bischöfen erschien plötzlich als etwas ganz anderes: als Absage an die christlichjüdische Versöhnung, als Rücknahme dessen, was das Konzil in dieser Sache zum Weg der Kirche erklärt hat.

Aus einer Einladung zur Versöhnung mit einer sich abspaltenden kirchlichen Gruppe war auf diese Weise das Umgekehrte geworden: ein scheinbarer Rückweg hinter alle Schritte der Versöhnung von Christen und Juden, die seit dem Konzil gegangen wurden und die mitzugehen und weiterzubringen von Anfang an ein Ziel meiner theologischen Arbeit gewesen war.

Dass diese Überlagerung zweier gegensätzlicher Vorgänge eingetreten ist und den Frieden zwischen Christen und Juden wie auch den Frieden in der Kirche für einen Augenblick gestört hat, kann ich nur zutiefst bedauern.

Ich höre, daß aufmerksames Verfolgen der im Internet zugänglichen Nachrichten es ermöglicht hätte, rechtzeitig von dem Problem Kenntnis zu erhalten. Ich lerne daraus, daß wir beim Heiligen Stuhl auf diese Nachrichtenquelle in Zukunft aufmerksamer achten müssen.

Betrübt hat mich, daß auch Katholiken, die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit auf mich einschlagen zu müssen glaubten. Um so mehr danke ich den jüdischen Freunden, die geholfen haben, das Mißverständnis schnell aus der Welt zu schaffen und die Atmosphäre der Freundschaft und des Vertrauens wiederherzustellen, die - wie zur Zeit von Papst Johannes Paul II. - auch während der ganzen Zeit meines Pontifikats bestanden hatte und gottlob weiter besteht.

Eine weitere Panne, die ich ehrlich bedaure, besteht darin, daß Grenze und Reichweite der Maßnahme vom 21. 1. 2009 bei der Veröffentlichung des Vorgangs nicht klar genug dargestellt worden sind. Die Exkommunikation trifft Personen, nicht Institutionen.

Bischofsweihe ohne päpstlichen Auftrag bedeutet die Gefahr eines Schismas, weil sie die Einheit des Bischofskollegiums mit dem Papst in Frage stellt. Die Kirche muß deshalb mit der härtesten Strafe, der Exkommunikation, reagieren, und zwar, um die so Bestraften zur Reue und in die Einheit zurückzurufen.

20 Jahre nach den Weihen ist dieses Ziel leider noch immer nicht erreicht worden. Die Rücknahme der Exkommunikation dient dem gleichen Ziel wie die Strafe selbst: noch einmal die vier Bischöfe zur Rückkehr einzuladen.

Diese Geste war möglich, nachdem die Betroffenen ihre grundsätzliche Anerkennung des Papstes und seiner Hirtengewalt ausgesprochen hatten, wenn auch mit Vorbehalten, was den Gehorsam gegen seine Lehrautorität und gegen die des Konzils betrifft.

Damit komme ich zur Unterscheidung von Person und Institution zurück. Die Lösung der Exkommunikation war eine Maßnahme im Bereich der kirchlichen Disziplin: Die Personen wurden von der Gewissenslast der schwersten Kirchenstrafe befreit.

Von dieser disziplinären Ebene ist der doktrinelle Bereich zu unterscheiden. Daß die Bruderschaft Pius' X. keine kanonische Stellung in der Kirche hat, beruht nicht eigentlich auf disziplinären, sondern auf doktrinellen Gründen. Solange die Bruderschaft keine kanonische Stellung in der Kirche hat, solange üben auch ihre Amtsträger keine rechtmäßigen Ämter in der Kirche aus.

Es ist also zu unterscheiden zwischen der die Personen als Personen betreffenden disziplinären Ebene und der doktrinellen Ebene, bei der Amt und Institution in Frage stehen. Um es noch einmal zu sagen: Solange die doktrinellen Fragen nicht geklärt sind, hat die Bruderschaft keinen kanonischen Status in der Kirche und solange üben ihre Amtsträger, auch wenn sie von der Kirchenstrafe frei sind, keine Ämter rechtmäßig in der Kirche aus.

Angesichts dieser Situation beabsichtige ich, die Päpstliche Kommission „Ecclesia Dei“, die seit 1988 für diejenigen Gemeinschaften und Personen zuständig ist, die von der Bruderschaft Pius' X. oder ähnlichen Gruppierungen kommend in die volle Gemeinschaft mit dem Papst zurückkehren wollen, in Zukunft mit der Glaubenskongregation zu verbinden.

Damit soll deutlich werden, daß die jetzt zu behandelnden Probleme wesentlich doktrineller Natur sind, vor allem die Annahme des II. Vatikanischen Konzils und des nachkonziliaren Lehramts der Päpste betreffen.

Die kollegialen Organe, mit denen die Kongregation die anfallenden Fragen bearbeitet (besonders die regelmäßige Kardinalsversammlung an den Mittwochen und die ein- bis zweijährige Vollversammlung), garantieren die Einbeziehung der Präfekten verschiedener römischer Kongregationen und des weltweiten Episkopats in die zu fällenden Entscheidungen.

Man kann die Lehrautorität der Kirche nicht im Jahr 1962 einfrieren - das muß der Bruderschaft ganz klar sein.

Aber manchen von denen, die sich als große Verteidiger des Konzils hervortun, muß auch in Erinnerung gerufen werden, daß das II. Vaticanum die ganze Lehrgeschichte der Kirche in sich trägt. Wer ihm gehorsam sein will, muß den Glauben der Jahrhunderte annehmen und darf nicht die Wurzeln abschneiden, von denen der Baum lebt.

Ich hoffe, liebe Mitbrüder, daß damit die positive Bedeutung wie auch die Grenze der Maßnahme vom 21. 1. 2009 geklärt ist. Aber nun bleibt die Frage: War das notwendig? War das wirklich eine Priorität? Gibt es nicht sehr viel Wichtigeres? Natürlich gibt es Wichtigeres und Vordringlicheres. Ich denke, daß ich die Prioritäten des Pontifikats in meinen Reden zu dessen Anfang deutlich gemacht habe. Das damals Gesagte bleibt unverändert meine Leitlinie.

Die erste Priorität für den Petrusnachfolger hat der Herr im Abendmahlssaal unmißverständlich fixiert: „Du aber stärke deine Brüder“ (Lk 22, 32). Petrus selber hat in seinem ersten Brief diese Priorität neu formuliert: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die in euch ist“ (1 Petr 3, 15).

In unserer Zeit, in der der Glaube in weiten Teilen der Welt zu verlöschen droht wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet, ist die allererste Priorität, Gott gegenwärtig zu machen in dieser Welt und den Menschen den Zugang zu Gott zu öffnen. Nicht zu irgendeinem Gott, sondern zu dem Gott, der am Sinai gesprochen hat; zu dem Gott, dessen Gesicht wir in der Liebe bis zum Ende (Joh 13, 1) - im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus erkennen.

Das eigentliche Problem unserer Geschichtsstunde ist es, daß Gott aus dem Horizont der Menschen verschwindet und daß mit dem Erlöschen des von Gott kommenden Lichts Orientierungslosigkeit in die Menschheit hereinbricht, deren zerstörerische Wirkungen wir immer mehr zu sehen bekommen.

Die Menschen zu Gott, dem in der Bibel sprechenden Gott zu führen, ist die oberste und grundlegende Priorität der Kirche und des Petrusnachfolgers in dieser Zeit.

Aus ihr ergibt sich dann von selbst, daß es uns um die Einheit der Glaubenden gehen muß. Denn ihr Streit, ihr innerer Widerspruch, stellt die Rede von Gott in Frage. Daher ist das Mühen um das gemeinsame Glaubenszeugnis der Christen - um die Ökumene - in der obersten Priorität mit eingeschlossen.

Dazu kommt die Notwendigkeit, daß alle, die an Gott glauben, miteinander den Frieden suchen, versuchen einander näher zu werden, um so in der Unterschiedenheit ihres Gottesbildes doch gemeinsam auf die Quelle des Lichts zuzugehen - der interreligiöse Dialog.

Wer Gott als Liebe bis ans Ende verkündigt, muß das Zeugnis der Liebe geben: den Leidenden in Liebe zugewandt sein, Haß und Feindschaft abwehren die soziale Dimension des christlichen Glaubens, von der ich in der Enzyklika „Deus caritas est“ gesprochen habe.

Wenn also das Ringen um den Glauben, um die Hoffnung und um die Liebe in der Welt die wahre Priorität für die Kirche in dieser Stunde (und in unterschiedlichen Formen immer) darstellt, so gehören doch auch die kleinen und mittleren Versöhnungen mit dazu. Daß die leise Gebärde einer hingehaltenen Hand zu einem großen Lärm und gerade so zum Gegenteil von Versöhnung geworden ist, müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Aber nun frage ich doch: War und ist es wirklich verkehrt, auch hier dem Bruder entgegenzugehen, „der etwas gegen dich hat“ und Versöhnung zu versuchen (vgl. Mt 5, 23f)? Muß nicht auch die zivile Gesellschaft versuchen, Radikalisierungen zuvorzukommen, ihre möglichen Träger - wenn irgend möglich - zurückzubinden in die großen gestaltenden Kräfte des gesellschaftlichen Lebens, um Abkapselung und all ihre Folgen zu vermeiden?

Kann es ganz falsch sein, sich um die Lösung von Verkrampfungen und Verengungen zu bemühen und dem Raum zu geben, was sich an Positivem findet und sich ins Ganze einfügen läßt? Ich habe selbst in den Jahren nach 1988 erlebt, wie sich durch die Heimkehr von vorher von Rom sich abtrennenden Gemeinschaften dort das innere Klima verändert hat; wie die Heimkehr in die große, weite und gemeinsame Kirche Einseitigkeiten überwand und Verkrampfungen löste, so daß nun daraus positive Kräfte für das Ganze wurden.

Kann uns eine Gemeinschaft ganz gleichgültig sein, in der es 491 Priester, 215 Seminaristen, 6 Seminare, 88 Schulen, 2 Universitäts-Institute, 117 Brüder und 164 Schwestern gibt? Sollen wir sie wirklich beruhigt von der Kirche wegtreiben lassen?

Ich denke zum Beispiel an die 491 Priester. Das Geflecht ihrer Motivationen können wir nicht kennen. Aber ich denke, daß sie sich nicht für das Priestertum entschieden hätten, wenn nicht neben manchem Schiefen oder Kranken die Liebe zu Christus da gewesen wäre und der Wille, ihn und mit ihm den lebendigen Gott zu verkünden. Sollen wir sie einfach als Vertreter einer radikalen Randgruppe aus der Suche nach Versöhnung und Einheit ausschalten? Was wird dann werden?

Gewiß, wir haben seit langem und wieder beim gegebenen Anlaß viele Mißtöne von Vertretern dieser Gemeinschaft gehört - Hochmut und Besserwisserei, Fixierung in Einseitigkeiten hinein usw. Dabei muß ich der Wahrheit wegen anfügen, daß ich auch eine Reihe bewegender Zeugnisse der Dankbarkeit empfangen habe, in denen eine Öffnung der Herzen spürbar wurde.

Aber sollte die Großkirche nicht auch großmütig sein können im Wissen um den langen Atem, den sie hat; im Wissen um die Verheißung, die ihr gegeben ist? Sollten wir nicht wie rechte Erzieher manches Ungute auch überhören können und ruhig aus der Enge herauszuführen uns mühen? Und müssen wir nicht zugeben, daß auch aus kirchlichen Kreisen Mißtönendes gekommen ist?

Manchmal hat man den Eindruck, daß unsere Gesellschaft wenigstens eine Gruppe benötigt, der gegenüber es keine Toleranz zu geben braucht; auf die man ruhig mit Haß losgehen darf. Und wer sie anzurühren wagte - in diesem Fall der Papst -, ging auch selber des Rechts auf Toleranz verlustig und durfte ohne Scheu und Zurückhaltung ebenfalls mit Haß bedacht werden.

Liebe Mitbrüder, in den Tagen, in denen mir in den Sinn kam, diesen Brief zu schreiben, ergab es sich zufällig, daß ich im Priesterseminar zu Rom die Stelle aus Gal 5, 13 - 15 auslegen und kommentieren mußte. Ich war überrascht, wie direkt sie von der Gegenwart dieser Stunde redet: „Nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!

Das ganze Gesetz wird in dem einen Wort zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Wenn ihr einander beißt und zerreißt, dann gebt acht, daß ihr euch nicht gegenseitig umbringt.“ Ich war immer geneigt, diesen Satz als eine der rhetorischen Übertreibungen anzusehen, die es gelegentlich beim heiligen Paulus gibt.

In gewisser Hinsicht mag er dies auch sein. Aber leider gibt es das „Beißen und Zerreißen“ auch heute in der Kirche als Ausdruck einer schlecht verstandenen Freiheit. Ist es verwunderlich, daß wir auch nicht besser sind als die Galater? Daß uns mindestens die gleichen Versuchungen bedrohen? Daß wir den rechten Gebrauch der Freiheit immer neu lernen müssen?

Und daß wir immer neu die oberste Priorität lernen müssen: die Liebe? An dem Tag, an dem ich darüber im Priesterseminar zu reden hatte, wurde in Rom das Fest der Madonna della Fiducia - unserer Lieben Frau vom Vertrauen - begangen.

In der Tat - Maria lehrt uns das Vertrauen. Sie führt uns zum Sohn, dem wir alle vertrauen dürfen. Er wird uns leiten - auch in turbulenten Zeiten. So möchte ich am Schluß all den vielen Bischöfen von Herzen danken, die mir in dieser Zeit bewegende Zeichen des Vertrauens und der Zuneigung, vor allem aber ihr Gebet geschenkt haben.

Dieser Dank gilt auch allen Gläubigen, die mir in dieser Zeit ihre unveränderte Treue zum Nachfolger des heiligen Petrus bezeugt haben. Der Herr behüte uns alle und führe uns auf den Weg des Friedens. Das ist ein Wunsch, der spontan aus meinem Herzen aufsteigt, gerade jetzt zu Beginn der Fastenzeit, einer liturgischen Zeit, die der inneren Läuterung besonders förderlich ist und die uns alle einlädt, mit neuer Hoffnung auf das leuchtende Ziel des Osterfestes zu schauen.

Mit einem besonderen Apostolischen Segen verbleibe ich
im Herrn Euer

BENEDICTUS PP. XVI.   
   
                              
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