Liebe Mitbrüder,
liebe Brüder und Schwestern!
Für mich gibt es immer ein ganz einfaches Kriterium, ob ein Evangelium besonders interessant und spannend ist, bevor man es überhaupt gelesen hat. Es ist - in der Regel - immer dann der Fall, wenn es auch eine sog. liturgische „Kurzfassung“ gibt, wenn also das Evangelium "zensiert" wurde. Auch heute werden zwei Fassungen zur Auswahl angeboten: Die „Langfassung“, die wir gerade gehört haben: Mit 405 Wörtern, - eigentlich gar nicht so lang. –
Und dann gibt es auch noch die völlig zusammengestrichene „Kurzfassung“, (wie wir sie gestern Abend in der Vigil gehört haben): Diese bricht nach 134 Wörtern einfach plötzlich ab – obwohl das überhaupt keinen Sinn macht – und endet mit den wunderschönen Worten an den ersten Diener: „Du bist ein treuer Verwalter gewesen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn.“ – Punkt. – Aus. –Vorbei. –
Der Rest wird verschwiegen: Vom Schicksal der anderen Diener erfahren wir nichts mehr. – Wahrscheinlich wird das leider heute in sehr vielen Pfarrgemeinden der Fall sein!
Liebe Brüder und Schwestern,
es gibt sehr wenige Dinge, die mich so richtig ärgern können. Aber das hier ein Gleichnis vollkommen verstümmelt und verbogen wird, frei nach dem Motto „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“, halte ich eigentlich schon für sehr fragwürdig: Halbe Wahrheiten sind keine Wahrheiten! Wahrheit ist unteilbar! – Wir alle haben ein Recht auf die ganze Wahrheit, - auf das ganze Evangelium. Ungekürzt! Ohne Zensur und ohne Index. - Niemand braucht vor dem Wort Gottes geschützt werden! Der Index der "verbotenen Bücher" würde 1967 abgeschafft. Es macht mich aber sehr nachdenklich, wenn einige Teile der Hl. Schrift, darunter auch einige Psalmen, einem neuen "Liturgie-Index" zum Opfer gefallen sind.
Ich kenne sogar einige Menschen, ich nenne sie die „Gut-Menschen“, die Christus teilweise sogar für „unchristlich“ halten. – Welche Ironie! – Es ist mittlerweile ziemlich weit gekommen, eben auch weil viele das Evangelium nur noch sehr bruchstückhaft kennen.
Werfen wir nun aber einmal den Blick auf das ganze Evangelium:
Beim Lesen ist mir da ein interessanter Seitenaspekt aufgefallen: Die "Talentförderung". –
Was tut der Herr eigentlich, um die Talente zu fördern? Er verteilt die Talente und dann...?
Und „dann reiste er ab“.
Der Herr gibt überhaupt keine schlauen Tipps und tolle Ratschläge, wie man die Talente anlegen und vermehren soll. – Denn das ist oft auch überhaupt nicht hilfreich, um Talente zu fördern. –
Wir alle – auch im Kloster – kennen Menschen und Mitbrüder, die mit (mehr oder weniger) gutgemeinten Ratschlägen nicht gerade sparsam umgehen. Und sie erreichen damit in der Regel genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich erreichen wollten. Denn jeder, der mit Ratschlägen überschüttet wird, sagt sich: Eigentlich traut der (oder die) mir wenig oder nichts zu. Es kommt dann meistens zu einer Blockade oder zu heftigen Gegenreaktionen, die der Sache dann nur wenig förderlich sind. –
Absolut tödlich sind in diesem Zusammenhang auch Vergleiche mit dritten:
„So wie der oder der musst Du das auch machen...“. Ein Beispiel: Ich war damals noch im Priesterseminar - als meine Mutter mir sagte: “Jetzt schau Dir doch ´mal die Talk-Show von Jürgen F. an. - So stelle ich mir einen guten Pfarrer vor! Da kannst Du was lernen! - So muss ein Pfarrer mit den Menschen reden...“ – Ich hab mir die Sendung angeschaut und dann nur gedacht: „Oh mein Gott! – Wie furchtbar!“ : Beinahe wäre ich in eine Berufungskrise geraten.
Mit ungefragten Ratschlägen oder Vergleichen sollte man bei erwachsenen Menschen wirklich sehr sparsam sein: „Schlaumichel-Aktionen“ fördern in der Regel Talente nicht.
Ganz anders versucht der Herr hier im Gleichnis die Talente zu fördern: Er „vertraut“ seinen Dienern sein Vermögen an und reist einfach ab. „Ihr alle habt mein Vertrauen und ich traue euch etwas zu. - Ich überlasse euch alle Entscheidungen!“, - das ist seine Botschaft. Und weiter heißt es: Er tat es so, dass keiner überfordert wurde. - Niemand muss alles können! - Der Herr kennt seine Leute, er kennt ihre unterschiedlichen Fähigkeiten. Und nach diesen Fähigkeiten traut er ihnen etwas zu, - vertraut er ihnen etwas an. Wenn uns jemand Vertrauen schenkt, dann regen sich in uns oft Kräfte, die wir sonst gar nicht kennen. Da trauen wir uns auf einmal auch Dinge zu, auf die wir aus eigener Phantasie gar nicht gekommen wären. – Ich glaube, das hilft oft weit mehr, als viele Ratschläge.
Liebe Brüder und Schwestern,
aber da ist dann immer noch die Frage: Was ist denn da schiefgelaufen bei dem dritten Diener?
Und gerade der dritte Diener ist es ja, mit dem man sich so gerne in eine Reihe stellt: Er hat weniger Talente bekommen als die anderen. – Etwas was wir alle – außer die, die die vielen Talente abbekommen haben – gut kennen: Das ist jemand eine Sportskanone ... Und ich bin eigentlich eine Flasche... Da kann jemand singen wie Fritz Wunderlich oder Pavarotti ... Und ich bin froh wenn ich ein paar richtige Töne treffe ... Da hat jemand Augen wie ein Adler ... Und ich bin ein Blindfisch ... Da kann jemand predigen wie der hl. Augustinus ... Und ich muss mir meine Predigt mühsam zusammenschreiben ... usw.
Ja, wir sehen uns oft gerne auf der Schattenseite des Lebens. – Und das ist wahrscheinlich auch genau der Fehler, den der dritte Diener gemacht hat: - Sobald man sich mit anderen vergleicht, wird man zwangsläufig klein, unzufrieden und gelähmt. Man bekommt es mit der Angst zu tun und beginnt sein Talent einzugraben.
„Weil ich Angst hatte“ – heißt es im Evangelium. - Angst vor wem und vor was?
Angst vor der Unscheinbarkeit seines eigenen Talents: Er konnte an sich selbst nicht mehr glauben! – Die Nicht-Akzeptanz seiner (von Gott gegebenen Gaben und Grenzen) kann Menschen in die Verzweiflung führen.
Thomas von Aquin, der große Theologe des Mittelalters, bringt es genau auf den Punkt: „Die größte Sünde des Menschen besteht darin, - verzweifelt nicht er selbst sein zu wollen!“. Ich denke, dass ist immer noch hochaktuell: „Die größte Sünde des Menschen besteht darin, - verzweifelt nicht er selbst sein zu wollen!“
Die Gegenwart bietet heute genügend Chancen, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen und seine Werk zum Lob Gottes leuchten zu lassen. - Jeder hat sein Talent. Jeder ist einmalig. – Jeder hat seine Lebensaufgabe zu erfüllen. – Genau daran will Jesus erinnern: Vertue dein Leben nicht, - lass deine Talente nicht brach liegen. - Mach was aus deinem Leben, damit du nicht eines Tages bestürzt sagen musst: Was ist bloß aus meinem Leben geworden?
Hier muss ich immer an eine Episode aus dem „Hauptmann von Köpenick“ (von Carl Zuckmayer) denken. - Diese kleine Geschichte möchte ich am Ende noch erzählen. – Den Berliner Dialekt musste ich leider weglassen, - der klingt genauso furchtbar wie mein Bayerisch. –
Also: Schuster Vogt, gerade aus dem Knast freigekommen, fragt sich, was er eigentlich bisher aus seinem Leben gemacht hat. Da er keine Aufenthaltsgenehmigung hat, bekommt er keine Arbeit. Und da er keine Arbeit hat, bekommt er keine Aufenthaltsgenehmigung.
Er sieht sich vor den Allmächtigen gestellt, und der fragt ihn: "Vogt, was hast du gemacht mit deinem Leben?" "Und ich, - ich muss dann sagen: Fußmatten! – Fußmatten habe im Gefängnis geflochten. - Und da sind sie dann alle drauf rumgetrampelt." – Und der Allmächtige schüttelt den Kopf und sagt: "Geh weg! – Ausweisung! – Dafür habe ich dir dein Leben nicht geschenkt!" -
Und dann ist es wieder nichts - mit der Aufenthaltsgenehmigung!
Liebe Brüder und Schwester,
Fußmatten bringen uns also nicht in den Himmel. –
Aber wir haben ganz bestimmt andere Fähigkeiten?! –
Und wer sein Talent eingegraben hat, der kann es jederzeit wieder ausgraben, damit es etwas wird, mit der "Aufenthaltsgenehmigung". - Amen.
---
Predigt für den 33. Sonntag im Jahreskreis (A) am 13. XI. 2005 (Konventamt, St. Ottilien)
Evangeliumstext (Mt 5, 14-30)