Bild: Der Sturm auf dem See. -
(Hitda-Codex, Köln, um 1000 n. Chr.)
In meiner Jugendzeit gab es in meiner Heimatgemeinde eine gute Tradition. Da bekam man in der Osterzeit von einem Messdiener nach der hl. Kommunion ein kleines Andachtsbildchen überreicht. Und an mein „Lieblingsbildchen“ kann ich mich noch sehr genau erinnern:
Auf einem riesigen Kissen schläft Jesus im Boot, während um ihn herum die Jünger in Panik ausbrechen. – Mittlerweile weiß ich als Bibliothekar, dass es sich dabei um eine mittelalterliche Buchmalerei (natürlich eine Kopie) von einem Mönch aus Köln handelte, die etwa um das Jahr 1000 entstanden ist.
Der Mönch hat das Boot als ein Seeungeheuer dargestellt und das zerrissene Segel des Bootes sieht aus wie eine riesige Schwanzflosse. Ganz besonders interessant ist die Form, der Rumpf des Schiffes. Das Boot sieht aus wie eine gewaltiger Maul, der alle Insassen – samt Jesus mit seinem Kissen - zu verschlingen droht.
Im Boot sieht man die ratlosen, angsterfüllten Gesichter der Jünger. Mit einer hektischen Handbewegung versucht wohl der weißhaarige Petrus noch das Segel einzuholen oder das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. So ganz genau kann man das nicht erkennen. Alle anderen scheinen bereits resigniert zu haben. Sie kauern in der Ecke und warten auf ihren Untergang.
Und das war mir damals schon aufgefallen: Das Aufregende an diesem Bild ist, dass dort nicht die aufgewühlte See als Bedrohung dargestellt wird, sondern das Boot, in dem sich die Jünger mit Jesus befinden. Vom Sturm und von hohen Wellen ist auf dem Bild gar nichts zu sehen! - Das unheimliche geht allein vom Boot aus.
Das Bild legt uns nahe, dass es gerade diese Haltung der Jünger ist, die das Boot zu einem Dämon werden lässt: Hektischer Aktionismus, gepaart mit Resignation und Orientierungslosigkeit. Das alles führt dazu, dass das Boot dem Abgrund näher ist als der Rettung. –
Von den Jüngern also geht also die eigentliche Gefahr aus, nicht von dem Seesturm! - Eine wirklich sehr interessante Sichtweise!
Moderner - so denke ich - könnte dieses tausend Jahre alte Bild nicht sein, wenn wir es einmal auf heute übertragen: Der Sturm, die Anfeindung von Außen ist nicht das Schlimmste, was das Boot zum Kentern bringen kann. - Was mir persönlich oft wirklich Sorgen und Angst macht ist es, wie es im Schiff Petri selber aussieht. Die Zerstrittenheit und Uneinigkeit im Innern, der innere Glaubensabfall, die Selbstzerstörung der Kirche: das ist die größte Not!
Da gibt es Theologen, die die Jungfrauengeburt, die Wunder Jesu und seine Auferstehung zu frommen Märchen erklären; oder die wortgewandt darlegen, das Priestertum und die Sakramente der Kirche seien unbiblische Irrtümer der Geschichte. Da gibt es allwissende Kirchenfunktionäre, die zu jeder Äußerung des Papstes postwendend das Gegenteil verkünden; Pfarrer und Laien, die ihren Gemeinden "selbstgestrickte" Gottesdienste zumuten und um die universale Liturgie der Kirche betrügen: Sie alle tragen – bewusst oder unbewusst – zum Werk der Selbstzerstörung des Glaubens bei.
"Wenn die Kirche untergeht, dann nicht wegen ihren Feinden, sondern wegen ihren Theologen..." hat Nietzsche einmal gesagt. – Ich glaube, da ist einiges Wahres dran. Aber - Gott sei Dank - sind wir ja nicht alle Theologen!
Liebe Brüder und Schwestern,
"Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben?" – Diese Frage gilt natürlich uns allen. Denn es wird kaum einen unter uns geben, der nicht die Angst kennt, der nicht manchmal vom Dämon der Angst geplagt und in die Mangel genommen wird, so dass es „eng“ wird. - Das Wort "Angst" kommt übrigens von "Enge".
Bei den Ängsten, die uns befallen, geht es um unterschiedliche Dinge: Angst vor der Zukunft, die Angst vor Niederlagen und Misserfolgen; die Angst vor Krankheit, vor Einsamkeit, vor feindseligen Zeitgenossen oder Mitbrüdern; oder die Angst in Form eines unbestimmten Gefühls der Bedrohung. Im Kern sind alle Ängste in einer Ur-Angst verwurzelt: In der Todesangst, so wie sie die Jünger im Seesturm erleben.
Jesus bringt die Ursache all dieser Ängste in seiner kurzen Diagnose genau auf den Punkt: „Habt ihr noch keinen Glauben?“
Diese Frage macht aber vor allem auch deutlich, dass die Jünger noch gar nicht realisiert haben, wer da mit ihnen im Boot sitzt. Und auch nach dem Naturwunder der Seestillung scheint immer noch Unklarheit darüber zu herrschen, wer Jesus eigentlich ist: „Was ist das für ein Mensch, dass ihm sogar der Wind und der See gehorchen?“
Und genau hier liegt meines Erachtens die Ursache aller Ängste und Probleme nicht nur für die Jünger damals, sondern auch für die Glaubenskrise in der heutigen Gesellschaft: Die Gottheit Jesu wird nicht erkannt bzw. heute nicht mehr geglaubt.
Selbst einige kirchliche Gemeinschaften glauben nicht mehr an die Gottheit Jesu. So glauben z.B. die „Zeugen Jehovas“ dass Jesus der „beste Mensch aller Zeiten“ war. – Mehr nicht!
Und wieviele Katholiken werden das mittlerweile leider auch glauben? - Wieviele werfen Jesus heute in einen Topf mit Buddha, Mohammed, mit anderen Propheten oder Religionsstiftern? - Wieviele glauben heute noch, dass Jesus wirklich auch „wahrer Gott“ ist? – Und genau das ist die Kernbotschaft des Christentums, um die sich alles dreht, von der unser Heil abhängt.
In den letzten Jahrzehnten wurde Jesus oftmals so „vermenschlicht“ und "verdunkelt", dass von seiner Gottheit kaum noch etwas übrig geblieben ist (1). Und wenn geglaubt wird, dass Jesus nur ein „guter Mensch“ war, so wie hoffentlich Sie und ich es auch sind, dann ist das zwar sehr erfreulich, aber „ewiges Leben“ wird er dann wohl kaum schenken können?
Wer die Gottheit Jesu in Frage stellt, der wird dann auch zwangsläufig vieles andere als „faulen Zauber“ erleben: die Kirche, das Priestertum, die Sakramente.
Liebe Brüder und Schwestern,
am Ende deshalb nur ein Beispiel, weil es in wenigen Minuten aktuell werden wird: Wenn Jesus nur „wahrer Mensch“ war, wie wird er sich dann wohl gleich in Brot und Wein verwandeln können? –
Der Unglaube an die Gottheit Jesu ist m. E. die Ursache für die Glaubenskrise in der heutigen Gesellschaft. - Aber vom Glauben an die Gottheit Jesu hängt letztendlich alles ab.
Und genau hier sind wir nun wieder im kleinen Boot angelangt, das der Kölner Mönch als einen Dämon dargestellt hat: Der Dämon, das sind nicht die Launen der Natur, das ist nicht der Sturm. – Der Dämon, das ist unser Unglaube, unsere Orientierungslosigkeit, unsere Resignation. - Der Dämon, das ist unsere Angst, dass Gott nicht existiert, dass Gott nicht mit uns im Boot sitzt und wir alleine auf uns angewiesen sind. - Aber eines ist ganz sicher:
„Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde geschaffen hat.
Er, der mich behütet, schläft nicht.
Nein, der Hüter Israels schläft und schlummert nicht.
Er steht mir zur Seite!“ (aus Ps 121)
Amen.
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(1) Auch hier nur ein kleines "liturgisches" Beispiel für eine solche "Verdunkelung": Wenn die abschließende Formel eines Gebets "Darum bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn und GOTT ..." ständig vom Zelebranten eigenmächtig in "Darum bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn und BRUDER ..." abgeändert wird, dann wird das auf Dauer sicherlich (fatale) Folgen zeigen.
Predigt, 12. Sonntag im Jahreskreis (B) am 21. VI. 2009
(Choralamt um 9.15 Uhr, Abteikirche St. Ottilien)
Evangelium: Mk 4, 35-41
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Seesturm (eine Betrachtung) |
Hitda-Codex |
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HERR RETTE UNS
Ein Sturm reißt das Boot in die Tiefe.
Das Meer wird zum drohenden Abgrund.
Todesangst steht im Gesicht der Jünger.
Das sichere Segel ist gerissen.
Die Ruder starren sinnlos ins Leere.
Alle Hilfe kommt hier wohl zu spät.
Ist der Mensch also letztlich -
so wie diese Jünger im Sturm -
dem Schicksal hilflos preisgegeben?
Wenn selbst Gott, mitten im Sturm,
schweigt und schläft?
Wenn die Jünger Jesu verzweifelt rufen:
"Herr, kümmert es Dich nicht,
daß wir zugrunde gehen?
Rette uns doch!"
Der Maler zeigt auffallend -
genau in der Mitte des Bildes -
einen Jünger, der sich umwendet,
ganz hinwendet zu Jesus.
Vermutlich ist es Johannes,
der wie kein anderer den Herrn liebte.
Er legt seine Hand auf die Schulter Jesu.
Er hält sich an diesem Jesus fest.
Er erwartet sonst nirgendwo Hoffnung.
Seine Hoffnung ist allein - der Herr.
In Wirklichkeit natürlich
schläft dieser Jesus nicht.
Er ist mitten in unserem Boot drin.
Er steigt auch niemals aus.
In allen unseren Nöten und Ängsten
ist er der ruhende Pol,
ist er das sichere Gegengewicht
zum hoffnungslosen Untergang.
Er ist ganz einfach - da,
da für uns und mit uns.
Und keine Macht dieser Welt
ist stärker als der Arm
und die sieghafte Rechte unseres Gottes.
Das eigentliche Zeichen der Hoffnung
aber auf unserem Bild
ist der Schiffsmast mit der Querstange.
Die Römer nannten sie - die Antenne.
Beide bilden zusammen - ein Kreuz.
Wer immer sich an diesem Kreuz festhält,
wird mit Jesus und durch Jesus
alle Stürme überleben,
am Ende sogar - den Tod.
Darum beteten die ersten Christen:
"Wir grüßen dich heiliges Kreuz.
Du bist unsere einzige Hoffnung."
Ich bitte Dich,
Christus,
steuere die Menschen
durch die Fluten
und Stürme
mit dem Baum
und der Antenne des Kreuzes.
An ihm hängt das Segel,
ein Zeichen für das Wehen
und die Kraft Deines Geistes.
Deine Rechte führe uns,
damit wir nach dieser Zeit,
voll von Wogen und Abgründen,
sicher das Ziel erreichen -
das Leben -
die ewige Geborgenheit
bei Dir.
(Venantius Fortunatus)
Text: Theo Schmidkonz SJ |