Mittwoch, 1. Mai 2024

Von Schlümpfen und Heldentenören - Mein Wagner Erstkontakt

“Wer zu Richard Wagner geht, kommt bei ihm um. Auf rätselhafte Weise macht seine Kunst viele Konsumenten bereits beim Erstkontakt süchtig. Danach gibt es kaum Möglichkeiten des Schutzes oder der Immunisierung.” - So sieht es Wolfram Goertz in einem 2013 erschienenen Artikel in der “Zeit” zum 200. Geburtstag des Meisters. Und er hat recht. So weit ich mich erinnern kann, fand mein Erstkontakt mit 13 oder 14 Jahren statt. Meine Mutter sagte mir einmal, dass ich ungefähr zu dieser Zeit anfing, mir anstatt Schlümpfe für meinen Setzkasten, lieber Langspielplatten mit klassischer Musik zu wünschen. Unter diesen ersten Schallplatten war ein Doppelalbum des spanischen Startenors Placido Domingos, den ich zuvor nur aus dem Radio kannte und dessen Stimme mich begeisterte. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass noch bevor ich Wagnerianer wurde, ich ein großer Domingo-Fan war (und es bis heute noch bin): Domingo ist - zusammen mit Fritz Wunderlich - einfach “der Größte”. 

Auf diesem Doppelalbum war nun auch ein Ausschnitt aus Wagners “Meistersinger von Nürnberg”, Walter von Stolzings Preislied “Morgenlich leuchtend” aus dem 3. Akt. Hier können Sie es anhören:

   

Dieses Preislied war also mein “Wagner Erstkontakt”. Und ich war begeistert und hörte mir diese Stelle wieder und wieder an. Ich war “infiziert” und begann mich in unserer Stadtbücherei ausführlicher über das Leben und Werk Richard Wagners zu informieren. Und natürlich wollte ich nun unbedingt mehr hören, eine ganze Wagner Oper oder besser noch, gleich Wagners monumentalen Vierteiler, den “Ring des Nibelungen”. So sammelte ich mein Taschengeld für dieses LP-Grossprojekt und schlug dann zu: Karl Böhms legendärer Bayreuther “Ring” aus dem Jahr 1966. 15 Stunden Wagner nonstop! Denn bei Wagner wird nichts im Kleinformat vorgeführt, seine Opern sind ganz großes Kino.

Wagner war kein Nostalgiker, sondern leidenschaftlicher Revolutionär, der sich mit den bestehenden Verhältnissen überhaupt nicht abfinden wollte. Bei genauerer Betrachtung ist der "Ring" auch keine verklärende Germanen-Sage. Vielmehr ging es um Gesellschaftskritik in archaischem Gewand. Text, Bild und Musik sollten zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen und die Handlung zum Menschheitsgleichnis werden. Es geht um den Gegensatz von Geld und Liebe und die zerstörerische Kraft des Machtstrebens. - 

Aber in diesem Beitrag soll es darum gehen, wie Wagners Musik mir zum unverzichtbaren Alltagsbegleiter wurde. Und nichts eignet sich besser als "Einstiegsdroge", als das Vorspiel zu "Das Rheingold", dem ersten Teil des Opernvierteilers. Hören wir also die ersten 4 Minuten (bei gefallen auch länger) des "Rings" in der bereits angesprochenen Bayreuther Einspielung unter Karl Böhm, meiner ersten Wagner-Gesamtaufnahme auf LP:

   

Im Wasser beginnt alles Leben und endet auch dort am Ende der "Götterdämmerung". Im berühmten 136 Takte dauernden Vorspiel, in dem sich die Keimzelle allen Werdens, als „Es“ in den Kontrabässen allmählich aus dem Urschlamm herauslöst, lässt Wagner den Klang wie aus dem Nichts entstehen. Zum „Es“ intonieren die Fagotte in völliger Ruhe, es regt sich „Leben und Weben“, dann kommen die Hörner dazu, die in weichen Piano-Linien, übergangslos in aufsteigenden Hornquinten das „Werde-Motiv“ bilden. So entsteht nach und nach der vollständige Es-Dur Akkord, die Streicher gehen in eine immer bewegtere Wellenbewegung über, die im jubelnden lautmalerischen Gesang der Rheintöchter gipfelt.

Das ist pure Klangmagie: Musik aus dem Nichts. 

Etwas vergleichbares hatte ich zuvor noch nie gehört. Und auch heute bekomme ich - wie damals - noch immer eine "Gänsehaut", wenn ich das Rheingold-Vorspiel live im Opernhaus (besonders in Bayreuth) oder auf Tonträgern höre. 

So begann "Wagners einzigartiges Werk, in dem sich Mythos und Modernität, Klangmagie und Seelenzauber, Verführungskraft und Menschlichkeit zu einem Netz verknüpfen, das unsere ganze Seele gefangen nimmt" (Dieter Borchmeyer), mein Leben für immer zu verändern.

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