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Sonntag, 27. Juli 2025

Mutter Teresa über den Skandal der Abtreibung in der heutigen Welt

Aktuell, wie gestern erst gesprochen: 
Die Friedensnobelpreisrede Mutter Teresas (Oslo, 1979)

"Ich habe eine Überzeugung, die ich Ihnen allen mitteilen möchte: Der größte Zerstörer des Friedens ist heute der Schrei des unschuldigen, ungeborenen Kindes. Wenn eine Mutter ihr eigenes Kind in ihrem eigenen Schoß ermorden kann, was für ein schlimmeres Verbrechen gibt es dann noch, als wenn wir uns gegenseitig umbringen? Sogar in der Heiligen Schrift steht: „Selbst wenn die Mutter ihr Kind vergessen könnte, ich vergesse dich nicht.“ Aber heute werden Millionen ungeborener Kinder getötet, und wir sagen nichts. In den Zeitungen lesen wir dieses und jenes, aber niemand spricht von den Millionen von Kleinen, die empfangen wurden mit der gleichen Liebe wie Sie und ich, mit dem Leben Gottes. Und wir sagen nichts, wir sind stumm. Für mich sind die Nationen, die Abtreibung legalisiert haben, die ärmsten Länder. Sie fürchten die Kleinen, sie fürchten das ungeborene Kind. Und das Kind muss sterben, weil sie dies eine Kind nicht mehr haben wollen – nicht ein Kind mehr – und das Kind muss sterben. Und ich bitte Sie hier im Namen der Kleinen: Rettet das ungeborene Kind, erkennt die Gegenwart Jesu in ihm! 

Als Maria Elisabeth besuchte, hüpfte das Kind vor Freude im Schoß der Mutter in dem Augenblick, als Maria ins Haus kam. Das Ungeborene brachte Freude. Daher versprechen wir hier, jedes ungeborene Kind zu retten. Gebt jedem Kind die Gelegenheit, zu lieben und geliebt zu werden. Wir bekämpfen Abtreibung mit Adoption. Mit Gottes Gnade werden wir es schaffen. Gott segnete unsere Arbeit. Wir haben Tausende von Kindern gerettet, sie haben ein Heim gefunden, in dem sie geliebt werden, wo sie erwünscht sind, wohin sie Freude gebracht haben. 

Deshalb fordere ich Sie heute auf, Majestäten, Exzellenzen, meine Damen und Herren, Sie alle, die aus vielen Ländern der Erde gekommen sind: Beten Sie, dass wir den Mut haben mögen, das ungeborene Leben zu schützen."

Das war 1979. Wie sieht es heute aus? 
Nach Angaben der WHO (Weltgesundheitsorganisation) werden weltweit jedes Jahr über 73 Millionen Kinder im Mutterleib getötet. Allein in Deutschland über 100.000!

Freitag, 25. Juli 2025

Aus der Erklärung "Dignitas infinita" über die menschliche Würde (Kongregation für die Glaubenslehre, 2024)

Einleitung

1. Eine unendliche Würde (Dignitas infinita), die unveräußerlich in ihrem Wesen begründet ist, kommt jeder menschlichen Person zu, unabhängig von allen Umständen und in welchem Zustand oder in welcher Situation sie sich auch immer befinden mag. Dieser Grundsatz, der auch von der Vernunft allein voll erkannt werden kann, ist die Grundlage für den Vorrang der menschlichen Person und den Schutz ihrer Rechte. Die Kirche bekräftigt und bestätigt im Licht der Offenbarung in absoluter Art und Weise diese ontologische Würde der menschlichen Person, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und in Christus Jesus erlöst wurde. Aus dieser Wahrheit leitet sie die Gründe für ihr Engagement für die Schwächeren und weniger Mächtigen ab, wobei sie stets auf den „Primat der menschlichen Person und der Verteidigung ihrer Würde unabhängig von allen Umständen“[2] besteht.


Unbedingte Achtung der Menschenwürde

24. Zu allererst gibt es trotz des wachsenden Bewusstseins für die Frage der Menschenwürde immer noch viele Missverständnisse des Begriffs Würde, die seine Bedeutung verfälschen. Einige schlagen vor, statt „Menschenwürde“ (und Rechte des Menschen) besser den Ausdruck „personale Würde“ (und Rechte „der Person“) zu verwenden, weil sie unter einer Person lediglich „ein vernunftbegabtes Wesen“ verstehen. Folglich leiten sie Würde und Rechte aus der Fähigkeit zu Erkenntnis und Freiheit ab, mit der nicht alle Menschen ausgestattet sind. Das ungeborene Kind hätte demnach keine personale Würde, ebenso wenig wie ein unselbstständig gewordener alter Mensch, oder jemand mit einer geistigen Behinderung.[39] Die Kirche besteht im Gegenteil auf der Tatsache, dass die Würde jeder menschlichen Person, gerade weil ihr untrennbar verbunden, „jenseits aller Umstände“ bleibt und ihre Anerkennung in keiner Weise von der Beurteilung der Fähigkeit zu Erkenntnis und zu freiem Handeln einer Person abhängen kann. Andernfalls wäre die Würde nicht als solche dem Menschen innewohnend, unabhängig von seiner Konditionierung und daher einer bedingungslosen Achtung würdig. Nur durch die Anerkennung einer dem Menschen innewohnenden Würde, die niemals verloren gehen kann, ist es möglich, ihr eine unantastbare und sichere Grundlage zuzusichern. Ohne jeden ontologischen Bezug wäre die Anerkennung der Menschenwürde unterschiedlichen und willkürlichen Bewertungen ausgeliefert. Die einzige Bedingung, unter der von einer der Person an sich innewohnenden Würde gesprochen werden kann, ist also die Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, weshalb „die Rechte der Person die Rechte des Menschen“ sind.[40]


Abtreibung

47. Die Kirche hört nicht auf, daran zu erinnern, dass „die Würde eines jeden Menschen einen intrinsischen Charakter [hat] und sie gilt von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Gerade die Bejahung dieser Würde ist die unveräußerliche Voraussetzung für den Schutz der persönlichen und sozialen Existenz und zugleich die notwendige Bedingung für die Verwirklichung von Brüderlichkeit und sozialer Freundschaft unter allen Völkern der Erde.“[88] Auf der Grundlage dieses unantastbaren Wertes des menschlichen Lebens hat sich das kirchliche Lehramt stets gegen die Abtreibung ausgesprochen. In diesem Zusammenhang schreibt der heilige Johannes Paul II.: „Unter allen Verbrechen, die der Mensch gegen das Leben begehen kann, weist die Vornahme der Abtreibung Merkmale auf, die sie besonders schwerwiegend und verwerflich machen. […] Doch heute hat sich im Gewissen vieler die Wahrnehmung der Schwere des Vergehens nach und nach verdunkelt. Die Billigung der Abtreibung in Gesinnung, Gewohnheit und selbst im Gesetz ist ein beredtes Zeichen für eine sehr gefährliche Krise des sittlichen Bewußtseins, das immer weniger imstande ist, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, selbst dann, wenn das Grundrecht auf Leben auf dem Spiel steht. Angesichts einer so ernsten Situation bedarf es mehr denn je des Mutes, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen und die Dinge beim Namen zu nennen, ohne bequemen Kompromissen oder der Versuchung zur Selbsttäuschung nachzugeben. In diesem Zusammenhang klingt der Tadel des Propheten kategorisch: ,Weh denen, die das Böse gut und das Gute böse nennen, die die Finsternis zum Licht und das Licht zur Finsternis machen‘ (Jes 5,20). Gerade in bezug auf die Abtreibung ist die Verbreitung eines zweideutigen Sprachgebrauchs festzustellen, wie die Formulierung ,Unterbrechung der Schwangerschaft‘, die darauf abzielt, deren wirkliche Natur zu verbergen und ihre Schwere in der öffentlichen Meinung abzuschwächen. Vielleicht ist dieses sprachliche Phänomen selber Symptom für ein Unbehagen des Gewissens. Doch kein Wort vermag die Realität der Dinge zu ändern: die vorsätzliche Abtreibung ist, wie auch immer sie vorgenommen werden mag, die beabsichtigte und direkte Tötung eines menschlichen Geschöpfes in dem zwischen Empfängnis und Geburt liegenden Anfangsstadium seiner Existenz.[89]Ungeborene Kinder sind somit „sind die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will, indem man ihnen das Leben nimmt und Gesetzgebungen fördert, die erreichen, dass niemand das verbieten kann“[90]. Deshalb muss auch in unserer Zeit mit aller Kraft und Klarheit festgestellt werden, dass „diese Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen Menschenrechtes verbunden [ist]. Sie setzt die Überzeugung voraus, dass ein menschliches Wesen immer etwas Heiliges und Unantastbares ist, in jeder Situation und jeder Phase seiner Entwicklung. Es trägt seine Daseinsberechtigung in sich selbst und ist nie ein Mittel, um andere Schwierigkeiten zu lösen. Wenn diese Überzeugung hinfällig wird, bleiben keine festen und dauerhaften Grundlagen für die Verteidigung der Menschenrechte; diese wären dann immer den zufälligen Nützlichkeiten der jeweiligen Machthaber unterworfen. Dieser Grund allein genügt, um den unantastbaren Wert eines jeden Menschenlebens anzuerkennen. Wenn wir es aber auch vom Glauben her betrachten, dann ,schreit jede Verletzung der Menschenwürde vor dem Angesicht Gottes nach Rache und ist Beleidigung des Schöpfers des Menschen‘.“[91]Hierbei verdient das großzügige und mutige Engagement der heiligen Teresa von Kalkutta für die Verteidigung jeder empfangenen Person in Erinnerung gerufen zu werden.

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[1] Hl. Johannes Paul II.Angelus mit den Behinderten in der Kathedrale von Osnabrück (16. November 1980): Insegnamenti III/2 (1980), S. 1232.

[2] Franziskus, Apost. Schreiben Laudate Deum (4. Oktober 2023), Nr. 39: L’Osservatore Romano (4. Oktober 2023), S. III.

[38] Franziskus, Generalaudienz (12. August 2020): L’Osservatore Romano (13. August 2020), S. 8, innere Zitate: Hl. Johannes Paul II., Ansprache an die Vollversammlung der Vereinten Nationen (2. Oktober 1979), Nr. 7 und Ders., Ansprache an die Vollversammlung der Vereinten Nationen (5. Oktober 1995), Nr. 2.

[39] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instr. Dignitas Personae (8. September 2008), Nr. 8: AAS 100 (2008), S. 863–864.

[88] Franziskus, Ansprache an die Vollversammlung der Kongregation für die Glaubenslehre (21. Januar 2022): L’Osservatore Romano (21. Januar 2022), S. 8.

[89] Hl. Johannes Paul II., Enz. Evangelium vitae (25. März 1995), Nr. 58: AAS 87 (1995), S. 466–467. Zur Frage der Achtung gegenüber menschlichen Embryonen siehe Kongregation für die Glaubenslehre, Instr. Donum vitae (22. Februar 1987): „Die Praxis, menschliche Embryonen in vivo oder in vitro für experimentelle oder kommerzielle Zwecke am Leben zu erhalten, steht in völligem Widerspruch zur menschlichen Würde.“ (I, 4): AAS 80 (1988), S. 82.

[90] Franziskus, Apost. Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), Nr. 213: AAS 105 (2013), S. 1108.

[91] Ebd.

Donnerstag, 24. Juli 2025

Volker Boehme-Neßler im Interview: „Wir brauchen keine Aktivisten in Richterrobe“

Die Debatten um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, die von der SPD für das Verfassungsgericht nominiert wurde, haben die Frage aufgeworfen, wie unabhängig Karlsruhe von der Politik ist. Ein Podcast mit dem Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler über das Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts, Aktivismus in Roben und die Unhintergehbarkeit der menschlichen Würde.

 

"Frau Brosius-Gersdorf hat den Eindruck erweckt, sie hat eine Mission. Sie hat bestimmte, grundsätzlich, also in ganz konfliktbehafteten Fragen, ganz streitigen Fragen der Gesellschaft, hat sie eine ganz dezidierte, eindeutige Antwort. Und die vertritt sie auch mit Vehemenz. Und das ist dann nicht die Persönlichkeit, die man braucht, wenn man unabhängige, neutrale und unvoreingenommene Diskussionen haben will. Darum geht's. Das ist, glaube ich, der Punkt."
(Volker Boehme-Neßler)

Freitag, 18. Juli 2025

Bätzing zu Brosius-Gersdorf: Taktik statt Kulturkampf

Nun hat sich auch der DBK-Chef geäußert: Kulturkampf hilft den falschen – also hat die Sorge um die Menschenwürde rhetorisch zurückzustehen? Eine unsachliche Einordnung. 

Von Jakob Ranke

Bitte keine Kulturkämpfe, das hilft nur der AfD, die arme Frau Brosius-Gersdorf. War’s das? Seit rund zwei Wochen bestimmt die vorerst gescheiterte Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht die öffentliche Diskussion – und nun hat sich nach langem Schweigen auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) dazu geäußert. Doch als Schlusswort, mit dem alle befriedet in die Sommerpause ziehen könnten, eignen sich die Einlassungen Georg Bätzings auch dann nicht, wenn man die gestern veröffentlichte DBK-Version seines Interviews mit der „Augsburger Allgemeinen" heranzieht, die mit der Hinleitung beginnt, „in Anbetracht der verkürzten öffentlichen Reaktionen“ dokumentiere man hier den vollständigen Wortlaut, um eine „sachliche Einordnung“ zu ermöglichen. 

Nein, Bätzings onkelhafter Abmoderationsversuch krankt an einem durch und durch taktischen Verhältnis zu einer zentralen Frage der katholischen Lehre. Deutlich wird das an mehreren Stellen. Das offensichtlichste Problem entsteht im Zusammenhang mit Bätzings Laudatio des geltenden Abtreibungsrechts mit seiner straffreien Rechtswidrigkeit in den ersten zwölf Wochen als „kluge Balance“, die das Leben schütze. Wirklich? Bei zuletzt 106.000 Schwangerschaftsabbrüchen auf 677.000 Geburten – mehr als jedes achte Kind darf nicht leben – darf man diese Einschätzung getrost in Zweifel ziehen.

Eine "gemäßigte Position"?

Brosius-Gersdorf verharmlost ihre eigenen Thesen zum Schwangerschaftsabbruch – und die Kirche rudert zurück 

Eine Kampagne, gar eine ausländische Verschwörung? Die vorerst gescheiterte SPD-Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf beklagt Zerrbilder ihrer Positionen – und stellt die eigenen Thesen gemäßigter dar, als sie sind. Bischof Georg Bätzing will keinen "Kulturkampf". Grund genug, noch einmal genauer hinzuschauen.

Ein hervorragender Beitrag von Benjamin Leven, sachlich, nüchtern, treffend, ohne Polemik, auch in dem, was bei Bischof Bätzing „schiefgelaufen“ ist.



Mittwoch, 9. Juli 2025

Der Kanzler kündigt den Konsens. Ist Menschenwürde teilbar?

Die Frage, egal von wem sie kam, war berechtigt: Könne der Kanzler es mit seinem Gewissen vereinbaren, eine Richterin zu bestellen, für die die Menschenwürde erst mit der Geburt beginnt? Der Kanzler antwortete mit einem glatten „Ja“. Damit hat Friedrich Merz den menschenrechtlichen Grundkonsens hinter dem Grundgesetz verlassen. 

Von Martin Brüske.

Der emeritierte Tübinger Moraltheologe Dietmar Mieth hat es einmal auf den Punkt gebracht: Hinter der Idee der Menschenrechte in ihrem klassischen Verständnis, wie sie auch hinter Menschenwürdegarantie und Grundrechtskatalog des Grundgesetzes stehen, steht ein antinominalistisches Pathos. Dieses klassische Verständnis der Menschenrechte wehrt sich dagegen, dass dem Menschen Würde und Rechte nur aufgrund staatlicher Entscheidungen und gesellschaftlicher Konstruktion zu eigen sind. Sie sind kein bloßes Wort, kein „Nomen“, das dem Menschen nur als Etikett angeheftet wird. Denn das macht den ursprünglich Rechts- und Würdestatus eines Menschen zur Verfügungsmasse anderer Menschen. Was erst zugesprochen werden muss, kann auch wieder abgespochen werden. Das öffnet der Willkür Tür und Tor: Plötzlich ist der jüdische Mensch oder der Kulacke, der ungeborene Mensch (und bald auch das Kleinkind? Wie bei den Römern?) und der Schwerstbehinderte, der komatöse Mensch, kein Mensch, keine Person mit Würde und Rechten mehr.

Menschenwürde und Menschenrechte in ihrem klassischen Verständnis wehren sich genau gegen so eine Teilung des Menschlichen und sie halten dagegen: Wer Mensch ist im Sinne der schlichten biologischen Zugehörigkeit zur Art Mensch, ist Träger von Würde und Rechten. Und zwar vom ersten Augenblick bis zum letzten seiner irdischen Existenz. Sie werden von der Rechtsgemeinschaft nicht konstituiert, sondern sind ihr absolut bindend vorgegeben. Würde ist eine innere, objektive Bestimmung jeden Menschseins. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, besonders auch zum § 218 des Strafgesetzbuches, beruht auf dieser Sicht. Diese Sicht bestimmte den antitotalitären, menschenrechtlichen Grundkonsens hinter dem Grundgesetz, erwachsen aus den schrecklichen, grauenhaften Erfahrungen mit der verbrecherischen Unmenschlichkeit der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts.

Seit ungefähr 20 Jahren wird dieser humanitätssichernde Konsens von einer jüngeren Generation von Juristen aufgekündigt. Matthias Herdegen, Horst Dreier und Reinhard Merkel seien hier genannt. Und jetzt auch – ganz offensichtlich – Frauke Brosius-Gersdorf. Durch ihre Einlassung, die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu § 218 beruhe auf einem naturalistisch-biologistischen Fehlschluss, ist sie hier eindeutig zuzuordnen. Dahinter steht die fatale Trennung von biologischem Menschsein und allein Würde und Rechte tragendem Personsein. Wer Mensch ist in dieser Sicht, der ist noch lange nicht Person. Und mit „bloßen“ Menschen kann ich – bis hin zur Tötung – alles Mögliche anstellen. Da ist sie wieder, die Teilung des Menschseins, die Teilung, die Arier mit Rechten von Juden ohne Rechte und Parteigenossen mit Rechten von Klassenfeinden ohne Rechte trennt. Wollen wir das?

Natürlich, hier steht weder nationalsozialistisches noch bolschewistisches Gedankengut dahinter, nein es ist ein bürgerlich daherkommender, aber philosophisch platter und zugleich raffiniert sophistischer Utilitarismus, der dahinter steht und der durch einen sophistischen Scharlatan wie Reinhard Merkel im deutschsprachigen Raum verbreitet wurde. Letztlich steht dahinter eine schlechte, ungeklärte Ontologie des Personseins. (Das ist Stoff für weitere Artikel.) Aber was ist der Unterschied zu den Gedankengängen der totalitären Ideologien, wenn als Folge der Beseitigung des angeblichen „biologistisch-naturalistischen Fehlschlusses“ von Frau Prof. Brosius-Gersdorf schwerstkomatöse Menschen in der utilitaristischen, angelsächsischen Bioethik, der sie sich offensichtlich verpflichtet weiß, als „human vegetable“ („menschliches Gemüse“) bezeichnet werden. Noch einmal: Wollen wir das?

Ich jedenfalls nicht! Ich bin schockiert, traurig und ratlos – und aufs höchste alarmiert: Mit seinem emphatischen „Ja“ zur Wählbarkeit von Frauke Brosius-Gersdorf hat Friedrich Merz den antitotalitären, menschenrechtlichen Grundkonsens, der am Anfang unseres Gemeinwesens stand, schlicht und ergreifend aufgekündigt.

Dankbar bin ich dafür umso mehr zwei deutschen Bischöfen: Stefan Oster und Rudolf Voderholzer haben das eiserne schändliche Schweigen der offiziellen deutschen Kirche, die in einer den ethischen Grundcharakter unseres Staates betreffenden Frage nicht mehr zustande brachte als eine vage Randbemerkung des Prälaten Jüsten, kraftvoll und präzise durchbrochen. Sie bringen auf den Punkt, worum es geht: Es darf in Deutschland nie wieder Menschen zweiter Klasse geben.”

Dr. theol. Martin Brüske
Martin Brüske, Dr. theol., geb. 1964 im Rheinland, Studium der Theologie und Philosophie in Bonn, Jerusalem und München. Lange Lehrtätigkeit in Dogmatik und theologischer Propädeutik in Freiburg / Schweiz. Unterrichtet jetzt Ethik am TDS Aarau. Martin Brüske ist Mitherausgeber des Buches “Urworte des Evangeliums”.

Quelle: https://neueranfang.online/der-kanzler-kuendigt-den-konsens-ist-menschenwuerde-teilbar/