Sonntag, 26. Dezember 2004

DER KLEINE HERODES IN UNS


Liebe Mitbrüder, liebe Mitfeiernde!

Zu einer „typisch deutschen Weihnacht“ gehören drei Dinge: Tannenbaum, Lametta und Krippe. Vor ungefähr 30 Jahren schien da in meiner westfälischen Heimat allerdings noch ein gewisser Nachholbedarf zu herrschen: Wir hatten daheim keine eigene Krippe. Und da wurde mein Großvater beauftragt, zusammen mit meinem Bruder und mir Abhilfe zu schaffen. Sperrholz und drei Laubsägen wurden organisiert und ein Stall gebaut. Das Ergebnis war eigentlich recht ordentlich. - Die tiefen Säge-Einschnitte in Opas Wohnzimmertisch leider auch. - Irgendwie verbinden wir alle irgendwelche Gesichter und Geschichten mit Weihnachten.

Und vielleicht kennen wir auch alle diese ganz typischen „Warum-Fragen“, die man als Kind dann eben auch so an Erwachsene stellt: „Warum wird Jesus eigentlich im Stall geboren?“ – Irgendwie ist das ja doch nicht normal. – Und vielleicht ahnen Sie auch schon die typische Antwort, die man dann zu hören bekommt? – „Weil in der Herberge kein Platz war!“ Diese Antwort ist zwar absolut korrekt und zeugt sogar von einer besonderen Bibelfestigkeit, - aber irgendwie ist diese Antwort auch nicht so ganz zufriedenstellend. Als Kind kann man einige Jahre gut damit leben: „In der Herberge war kein Platz mehr, deshalb haben wir den Stall gebaut. – Ja. Logisch!“
Aber irgendwann einmal sollte man dann doch einmal tiefer Fragen: „Warum wählt Gott einen Stall?“ – Was denken Sie?

Mich hat meine Kindheitsfrage nie so richtig losgelassen. Aber auch wenn man nicht Mönch werden will, sollte man sich durchaus darüber einige Gedanken machen: „Warum wählt Gott einen Stall?“

Die Antwort sieht sicherlich bei jedem ganz anders aus, und so ist auch meine Vermutung auch nur eine unter vielen. Aber wenn mir heute jemand diese Frage stellt, neulich war das bei einer kleinen Adventsfeier der Fall, dann bringe ich das immer auf eine einfache Kurzformel: „Macht birgt die Gefahr, dass sie die Liebe erstickt!“ Wahre Liebe braucht keine Macht und Pracht. - Der Gottmensch Jesus wollte ganz die Liebe sein, deshalb hat er ganz auf seine irdische Macht und Herrlichkeit verzichtet. Und das von Anfang an! –
Macht und Liebe sind hier auf der Erde nicht so einfach unter einen gemeinsamen Hut zu kriegen. - Wer Macht und Kontrolle über andere ausübt, der wird leicht lieblos.

Der RING: Symbol der Macht oder Liebe?


Macht ist eine teuflische Versuchung, damals wie heute: Dreimal wird der Teufel in der Wüste an Jesus herantreten um den Gottessohn in Versuchung zu führen. Das Ziel und die Triebfeder dieser Versuchungen ist die Macht: Jesus widersteht, er bleibt ganz die Liebe.

Es ist sehr interessant zu beobachten, wie dieses Thema „Macht und gleichzeitiger Liebesverlust“ in Literatur, Film und Musik immer wieder aufgegriffen wird. Mit einiger Verspätung wurde auch in unserem Klosterkino auch Tolkiens dreiteiliger Fantasy-Monumentalschinken „Der Herr der Ringe“ gezeigt: Wer sich bewusst den „einen Ring“ der Macht an die Hand steckt, der verliert die Liebe. Das ist der unendlich hohe Preis für die Macht. - Und auch wer Wagners „Ring des Nibelungen“ kennt, der weiß: Alberich muss die Liebe erst verfluchen, um den „Ring der Weltherrschaft“ schmieden zu können: Macht oder Liebe!

Aber es ist gar nicht nötig, 1300 Seiten zu lesen, 9 Stunden Kino oder 15 Stunden Wagner Opern über sich ergehen zu lassen. – Um zu begreifen, wie gefährlich diese „Urversuchung“ der Macht ist, genügt schon ein kurzer Blick in das heutige Evangelium und in unseren eigenen Alltag.

Zuerst also ein Blick in das Evangelium: Herodes hat die politischen Wirren nach der Ermordung Caesars klug ausgenutzt um an die Macht zu kommen. Er errichtet den Tempel neu, in einer Pracht, die die des salomonischen Tempels sogar weit in den Schatten stellt. – Er ist mächtig. Und doch wird er nicht geliebt und ist einsam. Eigentlich ist er religiös gleichgültig. Er bedient sich aber der jüdischen Religion, solange sie seinem Machterhalt dient. – Herodes hat Angst um seine Macht: Aus anderen Quellen wissen wir, dass er kurz vor seinem Tod die Ermordung von etlichen jüdischen Führungspersönlichkeiten angeordnet hat. Drei seiner Söhne werden in den letzten Amtsjahren auf seinen eigenen Befehl umgebracht. - Wie gesagt, die Macht hat einen hohen Preis!

In seiner ganzen Brutalität ist Herodes in der Weihnachtsgeschichte aber nicht nur eine historische Gestalt. Er ist gewissermaßen der Antityp zu dem wehrlosen Jesuskind: Herodes ist der typische Mensch der Macht, der im anderen nur den Konkurrenten sehen kann. Dem göttlichen Kind steht ein mit aller Gewalt um seine Macht ringender Herodes gegenüber: Und die Mächtigen haben ein feines Gespür dafür, wenn sie ihre Macht gefährdet sehen. Je bedrohter sie ihre Macht sehen, um so brutaler kämpfen sie um diese. Und so beginnt die Lebensgeschichte des Gottessohnes mit einer Flucht. - Der Gottessohn flieht vor der Macht und ihren Früchten: Der Gottessohn flieht vor Neid, Ruhmsucht, Egoismus, Habgier, Lüge und Gewalt.

Liebe Brüder und Schwestern,
werfen wir jetzt aber einmal einen Blick nach heute: Gerade habe ich einen Zeitungsartikel über ein Buch gelesen, in dem 41 Manager anonym aber offen über diesen „Fluch der Macht“ sprechen. Dort heißt es: „Jeder, der einmal Macht hat, will noch mehr. Der Drang nach mehr Einfluss und Macht wird stärker, nicht schwächer.“ Am aufschlussreichsten sind die Aussagen zum Thema "Wie komme ich an die Macht?" – „Wendig muss man sein. Wissen, wem gerade nach dem Munde zu reden ist. Netzwerke spinnen. Loyalitäten aufbauen und sie bei Bedarf wechseln. - Ein selbstkritischer Manager ergänzt: "Und wenn man mal´ ein Ei gelegt hat, muss man laut und aufgeregt gackern." Was, wenn man es - wendig, listig und gackernd - nach oben geschafft hat? - Dann wird’s richtig schlimm. Neider, Intriganten und Konkurrenten überall. 90 Prozent ihrer Zeit, schätzt ein Berater, verwenden die Mächtigen darauf, auch mächtig zu bleiben.“ (Financial Times Deutschland) – So weit der Artikel.

Macht – heute sagt man lieber „Verantwortung“ - kann eine gefährliche Eigendynamik annehmen. Daran hat sich in 2000 Jahren offenbar nur wenig geändert: Vielleicht kennen Sie auch Menschen in Ihrer Umgebung, die eigentlich ganz normal waren, bis sie einen kleinen Posten am Arbeitsplatz, der Politik oder sogar im Kloster bekommen haben? Haben Sie anschließend eventuell eine wundersame „Wesensveränderung“ festgestellt? Menschen, von denen man es eigentlich nie erwartet hätte, können auf einmal ganz anderes werden, wenn sie Macht über andere bekommen. Da kann es entweder mit der Güte und Milde auf einmal ganz vorbei sein, oder sie wird zu einer „Gnade“, die dem anderen gewährt wird: „Ja, da wollen wir heute einmal Gnade vor Recht...“.

Das ganz besonders teuflische an der Macht ist aber auch, dass man es im Alltag oft selber gar nicht bemerkt, wenn man sie ausübt: Macht üben immer nur die anderen aus. Man sieht sich da sehr gerne in Opferrolle.

Liebe Brüder und Schwestern,
natürlich kann man, wenn man Macht, Einfluss und Geld richtig gebraucht, auch sehr viel Gutes damit bewirken. Das steht außer Frage! – Aber darüber zu sprechen möchte ich dann doch lieber den Experten überlassen. Meine Absicht war es nur darauf hinzuweisen, dass sich der Gottessohn auf diesen gefährlichen Doppelweg von Macht UND Liebe – von seiner Geburt an – erst überhaupt nicht eingelassen hat. Er hat sich alleine für den Weg der Liebe entschieden.

„Warum wurde Gott eigentlich in einem Stall geboren?“ –
Es lohnt sich über diese Kindheitsfrage nachzudenken.

Amen.

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Predigt am Fest der Hl. Familie (A) am 26. XII. 2004 (Konventamt, St. Ottilien)
Evangeliumstext (Mt 2,13-15.19-23)


EINLEITUNG

Liebe Brüder und Schwestern,

die weihnachtliche Idylle der heiligen Familie fand vor 2004 Jahren ein schnelles Ende:
Nur mit Mühe hatte der Gottessohn eine Herberge in dieser Welt gefunden,
und schon wurde er wieder aus seinem Stall gejagt. –

Und wie sieht es heute aus:
Lassen wir das Jesuskind i n u n s überleben?

Hat Jesus in uns einen dauerhaften Platz gefunden - oder muss er unser Herz fliehen,
weil es darin Kräfte gibt, die ihn manchmal zum Schweigen bringen wollen?

Gibt es nicht auch i n u n s einen kleinen Herodes, der um seine Macht bangt,
der sich von niemanden reinreden lassen möchte?

Ich denke, wir alle haben Jesus schon oft auf die Flucht geschickt.

Aber eines ist tröstlich:
Dass er wieder umkehrt aus Ägypten.

Bitten wir, dass er auch bei uns immer wieder anklopft.

(Kyrie)