Liebe Mitbrüder, liebe Mitfeiernde!
Vor einigen Monaten verstarb mit 80 Jahren mein früherer Heimatpfarrer. 25 Jahre war er in unserer westfälischen Kleinstadtgemeinde tätig - und er hatte eine Begabung, die ich immer besonders bewundert habe: Mit wenigen und klaren Worten konnte er immer alles genau auf den Punkt bringen. Oft haben mich seine Sinnsprüche noch Jahre später zum Weiterdenken angeregt und mein Leben begleitet. Und auch für diese Predigt – was sagt mir eigentlich die Dreifaltigkeit – kam mir spontan einer seiner Leitsprüche in den Sinn: „Die Wahrheit ist hartnäckig!“ – Das gilt für das eigene Leben und für die Bibel auch.
Bevor wir also einen Blick in die Heilige Schrift werfen, zuerst einmal ein Blick in unser alltägliches Leben.
Ein plötzlicher Todesfall in der Familie oder auch schon eine Krankheit, die man nicht unbedingt erwartet hat, kann unser Leben vollkommen durcheinander bringen. Was vorher einfach und selbstverständlich war, läuft jetzt nicht mehr so weiter. Die „neue Wahrheit“ bekommt dann oft eine Hauptrolle im Alltag, mit der man dann leben muss. Und schnell macht man die Erfahrung: „Die Wahrheit ist hartnäckig!“
„Die Wahrheit ist hartnäckig“, - so könnten eigentlich viele Schlagzeilen lauten, wenn man heute eine Zeitung aufschlägt. Irgendwie kommt man da oft ins Staunen. In vielen Politik-Affären und Wirtschafts-Skandalen scheint sich die Wahrheit zwar oft nur sehr langsam durchzusetzen, aber irgendwie gelingt es anscheinend auch nur selten, sie dauerhaft zu unterdrücken.
Aber wir brauchen unseren Blick erst gar nicht in fremde Töpfe zu verwerfen: Schon bei jeder Beichte haben wir die Gelegenheit, unseren eigenen, weniger schönen Seiten zu begegnen. Und auch hier macht man dann - bei sich selbst - immer wieder die erstaunliche Beobachtung: „Die Wahrheit ist hartnäckig! - Aber im selben Moment erfährt man dann auch immer das Johannes-Wort : „Die Wahrheit wird euch frei machen!“ (Joh. 8,32) – Gott sei Dank - ist auch das wahr!
Liebe Bruder und Schwestern,
betrachten wir also nun (im zweiten Schritt ) das Johannesevangelium etwas genauer: Im Grunde dreht sich bei Johannes alles um den Begriff der Wahrheit. Die „Wahrheit“ steht bei Johannes im Mittelpunkt seiner Botschaft. – So hat mein Computer z. B. herausgefunden, dass Johannes das Wort „Wahrheit“ mehr als dreimal so häufig verwendet, als das Wort „Liebe“, über das ja sonst so viel und gerne gesprochen und gepredigt wird (22 : 7). Wenn man die theologische Hauptaussage von das Johannes mit wenigen Worten zusammenfassen möchte, so kann man das vielleicht am besten mit den folgenden Worten Jesu tun: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich... Wer mich gesehen hat, der hat auch den Vater gesehen.“ (Joh 14, 6ff). - Wer also Christus als den Sohn Gottes erkannt hat, hat auch die Wahrheit erkannt. – Und wer Christus nicht als den Gottessohn erkannt hat, der hat auch die Wahrheit nicht erkannt - und der hat auch das ewige Leben nicht, - das fügt das heutige Evangelium noch hinzu. –
Für viele Menschen klingen diese Worte ziemlich hart. -
Wer heute in unserer pluralistischen Gesellschaft über die Wahrheit spricht, und behauptet, er erkenne genau den Weg, der macht sich sehr schnell unbeliebt: – Wer noch einen klaren Glauben hat, gemäß dem Credo der Kirche, der wird heute schnell als „Fundamentalist“ abgestempelt. - Wer glaubt, er habe die wesentliche Wahrheit verstanden, wird als intolerant betrachtet. Aber dabei ist gerade der Ausschluss der Wahrheit – die ja bekanntlich so hartnäckig ist - wirklich schwer wiegend intolerant. Denn wer die Wahrheit ausschließt und nichts als endgültig anerkennt, reduziert die wesentlichen Dinge des Lebens nur auf sein eigenes Ich, auf seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche.
Auf diese Weise gibt es über viele wesentliche Dinge des Lebens auch keine gemeinsame Anschauung mehr. - Paulus beschreibt dieses Problem sehr schön: Wir sind oft wie unmündige Kinder, wie „ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben im Widerstreit der Meinungen“ (Eph 4, 14). – Eine immer noch sehr aktuelle Beschreibung! Alle Meinungen scheinen irgendwie gleichermaßen gültig zu sein.
Liebe Brüder und Schwestern,
die Krankheit der heutigen Gesellschaft ist genau diese „Gleichgültigkeit“: Da gibt es kein - wahr oder falsch – gut oder böse mehr. Hier kann jeder glauben und tun, was er persönlich für richtig hält. - Aber mit dieser Gleichgültigkeit verlieren wir auch die ethischen Grundlagen für ein gemeinsames Leben. – Und ohne gemeinsame Wahrheiten, ohne einen gemeinsamen Glauben der Einheit stiftet, wird ein friedliches Zusammenleben dauerhaft nicht möglich sein.
Gerade unter dieser Gleichgültigkeit, in der wir es uns so bequem eingerichtet haben, leiden wir auch. Das spürt man täglich mehr. Wir haben es so weit gebracht, dass wir mittlerweile stets dazu bereit sind, alles zu verstehen und alles zu verzeihen. Aber in unserem Inneren wissen wir im Grunde ganz genau, dass es damit nicht getan ist. Wir sehnen uns danach wieder klar unterscheiden zu können zwischen gut und böse, richtig und falsch, schön und hässlich, klug und töricht. - Ja, die Wahrheit ist wirklich hartnäckig!
Liebe Brüder und Schwestern,
aber wir haben bei unserer Suche nach klaren Antworten einen Helfer: Christus, den Sohn Gottes, der durch den heiligen Geist wahrer Mensch geworden ist. Unsere Glaube an den wahren Sohn Gottes zeigt uns die Kriterien um unterscheiden zu können, zwischen Wahr und Falsch, zwischen Betrug und Wirklichkeit.
Dabei ist Christus der ganz andere im Vergleich mit allen anderen Religionsstiftern. Er kann nicht einfach auf eine Stufe mit Buddha, Sokrates oder Konfuzius gestellt werden. Er ist wirklich der Sohn Gottes und trotzdem wahrer Mensch. Er verbindet Gott mit den Menschen. - Das ist absolut einzigartig und einmalig! – Der Gottessohn ist die Brücke zwischen Himmel und Erde. Christus nimmt an unserem Leben und Leiden teil und schafft so den Schritt zum wahren Leben in der Auferstehung.
Und Christus geht sogar noch einen Schritt weiter: In jeder Eucharistiefeier, wenn wir den Leib des Herrn empfangen, lässt er uns teilhaben an seiner Gottheit. - Das ist eine unendliche Gnade und unendliches Wunder. Wir schwachen Mensch haben Teil an der Gottheit Christi. - Uns schwachen Menschen wird damit eine unendlich große Würde verliehen, die absolut einmalig ist. – Auch diese unbegreiflich hohe Würde des Menschen wird man so in keiner anderen Weltreligion finden. – Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, ist die Brücke zwischen Himmel und Erde: Das ist eigentlich die ganze Wahrheit, die uns Johannes mitteilen möchte.
Noch eine kleine Geschichte am Ende: Mit 19 Jahren, kurz vor meinem Abitur, wusste ich noch gar nicht was ich studieren wollte. Ich wusste nur, dass ich irgendetwas sinnvolles machen wollte. - Aber das möchte natürlich eigentlich jeder. – Ja, vielleicht Mathematik, Physik, Deutsch oder Geschichte, das waren meine Abiturfächer. Oder vielleicht doch lieber Elektrotechnik oder Informatik, wie viele meiner Mitschüler, die heute Handys, Kühlschränke, Kaffeemaschinen und andere nützliche Dinge entwickeln. – Ich konnte mich einfach nicht durchringen. – Damals, als ich noch nicht Bibliothekar war, hatte ich noch viel Zeit zum Lesen. Da fiel mir plötzlich ein Buch in die Hand mit dem Titel: „Unsere Bischöfe“. - Insider kennen das Buch. – Und in diesem Buch fand ich auch eine Biographie von Papst Benedikt XVI. , damals noch Kardinal Ratzinger. Und dieser schon damals den tollen Bischofswahlspruch "COOPERATORES VERITATIS" - „Mitarbeiter der Wahrheit“. – Das hat mich damals genau ins Herz getroffen. - Da habe ich sofort gewusst, was ich auch werden und woran ich "mitarbeiten" wollte. – Wenige Wochen später habe ich mich im Priesterseminar in Münster angemeldet.
Liebe Brüder und Schwestern,
eines können Sie mir glauben: Dieses Gefühl, irgendwie ein ganz kleiner „Mitarbeiter der Wahrheit“ zu sein, lohnt sich. Und das gilt – mit allen Höhen und Tiefen - bestimmt nicht nur exklusiv für Päpste und Mönche. -
Und noch eins: „Die Wahrheit ist hartnäckig!“
AMEN.
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Predigt zum Hochfest der Hl. Dreifaltigkeit (A) am 22. Mai 2005 (Konventamt, St. Ottilien)
Evangeliumstext (Joh 3, 16-18)