Vor einigen Tagen schaute ich - wie jeden Tag - in mein Postfach und fand dort zu meiner Überraschung ein Kalenderblatt mit einem Spruch: Wahrscheinlich ein – mehr oder weniger – gut gemeinter Ratschlag eines Mitbruders. Auf dem Kalenderblatt stand folgender Spruch: „Man wird beliebt, indem man sich bemüht, anderen nützlich zu sein“ (Pierre-Jean de Béranger).
„Man wird beliebt, indem man sich bemüht, anderen nützlich zu sein.“ – Ja, das wird sich vielleicht auch Marta gedacht haben. - Und der Dank und die Antwort Jesu: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen.“
Das Evangelium von Maria und Marta gehört zu den provozierenden Stellen in der Hl. Schrift. - Es gibt nicht wenige Menschen, die Schwierigkeiten mit diesem Evangelium haben. – Und der Autor des Kalenderspruches und sein „Verteiler“ werden wahrscheinlich auch dazu gehören.
Da sind die beiden Schwestern: Maria und Marta.
Marta macht sich viel zu schaffen. Sie ist "ganz in Anspruch genommen", für Jesus zu sorgen.
Und Jesus? Er scheint das gar nicht anzuerkennen. Statt dessen lobt er die untätige Maria, die anscheinend nichts anderes tut, als ihm genau zuzuhören. - Ist das nicht ungerecht?
Die meisten Menschen würden wahrscheinlich eher Marta loben. Denn wir sind es gewohnt nach den Gesetzen unserer Leistungsgesellschaft zu denken: Hast du was, dann bist du was. Schaffst du was, dann giltst du was. - Nur wer etwas leistet, sich nützlich macht, hat eine Daseinsberechtigung.
Um etwas vom Sinn dieses Evangeliums zu verstehen und zu begreifen, dass es sich hier um keine ärgerliche Botschaft handelt, sondern - im Gegenteil - um eine befreiende und heilsame, ist vielleicht ein Denkspiel hilfreich. Wäre unser Evangelium eigentlich sympathischer, wenn es so lautete:"Marta beschwerte sich bei Jesus: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Da wandte sich der Herr an Maria und sprach: Maria, Maria: wenn du dir nicht genauso viel Mühe gibst wie deine Schwester, wirst du nur schwerlich den ewigen Lohn erhalten."
Liebe Gläubige, ich habe nicht das Gefühl, dass diese Version erfreulicher für uns wäre. Im Gegenteil: Sie würde uns einen ungeheuren Leistungsdruck aufbürden, einen Druck, der da hieße: "Nur wer unermüdlich arbeitet, sich sorgt und müht - und ohne Rast und Ruh Leistung bringt, der verdient sich Gottes Liebe und Gnade".
Gott sei Dank: So lautet die Botschaft des Evangeliums nicht.
Christsein heißt nicht in erster Linie: wir haben viel zu sorgen; sondern: Gott sorgt für uns.
Für den Glaubenden gilt: Er muss sich seine Anerkennung, seine Daseinsberechtigung, sein Ansehen nicht durch Leistungen verdienen. Das alles hat er dadurch, dass er Kind Gottes sein darf.
Allerdings muss man bei diesem Evangelium ganz genau hinhören. Es geht hier nicht um eine einfache Schwarz-Weiß-Malerei: Marta schlecht, Maria gut! Jesus sagt: „Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.“ –
Und das Wort „Besser“ ist ja auch die Steigerung von „Gut“. – D.h. in Schulnoten ausgedrückt: Marta – „Gut“; Maria – „Sehr gut“. Aber „Gut“ ist ja auch keine schlechte Note. – Man kann das leicht übersehen.
Es geht also nicht darum, dass Marta etwas schlechtes macht, sondern etwas richtiges zum falschen Zeitpunkt. Es geht darum, dass in einer bestimmten Situation der eine Mensch – Maria – das Gebot der Stunde erkennt. Und der andere Mensch – Marta – erkennt das Gebot der Stunde nicht, wegen angeblicher Verpflichtungen. Worauf es also im Leben ankommt ist es, zur richtigen Stunde die richtige Entscheidung zu treffen.
Interessanterweise steht im Lukasevangelium direkt vor dieser Maria-Marta Geschichte die Geschichte vom Barmherzigen Samariter: Da fällt jemand unter die Räuber. Der Priester und der Levit gehen – weil sie andere Pflichten und Berufungen haben – vorbei, während sich der Samariter um den scheinbar Toten kümmert.
Diese beiden Geschichten gehören zusammen. In beiden Geschichten ruft Jesus uns zu: Erkenne den Augenblick: Was ist in diesem Augenblick not-wendig. - Was wendet die Not? - Für Dich kann es gerade jetzt gut sein, wie Maria sich Zeit zu nehmen, zu sprechen und zu fragen. - Aber wenn einer am Weg liegt, dann ist es richtig, den Gefallenen jetzt aufzuheben, egal, ob Du eigentlich für den Gottesdienst zuständig bist: Hier ist Handeln angesagt, - also genau das Gegenteil der Maria-Marta Geschichte. – Erkenne den Augenblick!
Beide Geschichten wollen uns folgendes sagen: Wir dürfen uns nicht durch Rollen, Pflichten oder Ordnungen alles eigene Denken abnehmen lassen. Wir müssen aufmerksam durch den Tag gehen, um Gottes Stimme im Alltag zu hören.
Hören und Handeln gehören also zusammen: eine Kirche voller Martas rennt genauso in die falsche Richtung - wie eine Kirche voller Marias gar nicht erst aufsteht. Man kann das eine nicht vom anderen Trennen: „Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst“ (Jak 1,22). Aber die Reihenfolge ist klar: Bevor wir handeln müssen wir lernen auf das zu Hören, was Gott uns zu sagen hat. Nur dann können wir unsere Prioritäten im Leben auch richtig setzen.
Liebe Mitbruder, liebe Mitfeiernde,
in Bayern und in Österreich gibt es sogar ein treffendes Wort für Menschen, die diese sinnvolle Reihenfolge - erst hören und dann handeln – nicht beachten. Einen treffenden hochdeutschen Begriff gibt es nicht, weshalb ich auch im Internet nachschauen musste, als ich ihn zum ersten Mal vor einigen Jahren gehört habe.
Es ist das Wort „Gschaftlhuber“. – Und ich fand folgende Erklärung: „Ein „Gschaftlhuber“ ist ein unangenehm betriebsamer, wichtigtuerischer und geltungssüchtiger Mensch, deren permanenter Aktionismus als störend empfunden wird. - „Gschaftlhuberei“ ist eine Bezeichnung für Tätigkeiten, die verhältnismäßig viel Energie verbrauchen, obwohl sie nur wenig Wirkung haben oder Ergebnisse zeigen...“.
In der Offenbarung des Johannes finden wir folgende Stelle: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten, und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir“ (Offb 3,20). So hat es Maria gemacht. Sie hat Jesus nicht - wie Marta - nur die äußere Tür geöffnet, sondern ihre innere. Sie hat sich Zeit genommen für den Herrn.
Damit wir nicht auch zu „Gschaftelhubern“ werden, brauchen wir regelmäßig Zeit für Gott, wo wir unsere „inneren Türen“ öffnen. Erst diese mit Gott verbrachte Zeit gibt unserem täglichen Tun und Arbeiten einen tieferen Sinn und Bedeutung. Dem lieben Gott gelegentlich ein paar Gedanken aus der Sofakuhle zu funken oder in kniffeligen Situationen ein Stoßgebet aus den Staubwinkeln der Erinnerungen zu reaktivieren reicht nicht. – Wer Auto fahren will, der muss vorher erst einmal Tanken, damit er losfahren kann. Und überhaupt: Wer nicht regelmäßig tankt, der wird irgendwann stehen bleiben. – Niemand kann ewig auf Reserve fahren.
Wenn wir das übertragen auf unser geistliches Leben gilt: Evangelium, Kirche und die Hl. Messe sind sichere Quellen, Tankstellen der wahren Gottesbegegnung, wenn man es - wie Maria - versteht zuzuhören und aufzutanken.
Liebe Mitbrüder, liebe Mitfeiernde,
bitten wir Gott, das wir nicht zu verbitterten und geltungssüchtigen Geschaftlhubern werden, die schaffen, um sich bei anderen beliebt zu machen. - Beliebtheit ist oft ein schlechter Lehrer. – Auf das not-wendige kommt es an!
„Man wird beliebt, indem man sich bemüht, anderen nützlich zu sein.“
Ein gefährlicher Kalenderspruch. Amen.
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Predigt für den 16. Sonntag im Jahreskreis (C) am 22. VII. 2007 (Konventamt, St. Ottilien)
Evangeliumstext (Luk 10, 38-42)