Dass die Beziehung des Menschen zu den numinosen „übergewaltigen Mächten“ (wie Goethe sie nennt) der familiären Verbindung von Personen analog ist, scheint eine allgemeine Erfahrung der Menschen zu sein, da sie die kultische Gemeinschaft mit der Gottheit oft sogar als Konkurrenz zur Gemeinschaft mit einem menschlichen Gatten und Kindern ansehen: Der römische Priester musste sich vor und während der Zeit seines kultischen Dienstes seiner Frau enthalten; Vestalinnen und katholische Priester müssen gänzlich ehelos und ohne eigene Familie leben. Die eigentliche Begründung dafür ist
keine pragmatische (etwa pastorale), sondern eine mystische: die Vestalin, der Flamen Dialis,
jeder Dorfpfarrer und der Papst gehören zu denjenigen Menschen die dazu bestimmt oder berufen sind, ihre höchste Kommunikationsintensität ausschließlich im Umgang mit dem Numinosen zu verwirklichen. Auch im außerkultischen Bereich kennen wir dieses Phänomen: Im Falle Kafkas etwa scheint mir die Frage nicht abwegig, ob nicht die Mächte, die sich durch seine Feder Ausdruck verschaffen wollten, es waren, die all seine Versuche in Richtung auf Ehe und Familie eifersüchtig vereitelt haben.
(Herbert Huber Antrittsvorlesung am 17. Juni 2005 Ludwig-Maximilians-Universität zu München: „Traulich und treu ist’s nur in der Tiefe“)
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