Das Zerwürfnis zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Kriminologen Christian Pfeiffer hat sie wieder hochgewühlt, die anti-katholischen Emotionen: Vertuschung, Aktenvernichtung, Desinteresse – so lauten die Vorwürfe.
Bernhard Meuser, Geschäftsführer des Sankt Ulrich Verlags sowie Autor und Verleger renommierter katholischer Bücher (darunter der Jugendkatechismus Youcat), erläutert die Geschichte der vorerst gescheiterten Missbrauchsstudie.
Man kann nicht oft genug betonen, dass Missbrauch ein ungeheuerliches Verbrechen ist, für das man schlicht und einfach in die Hölle kommt, sofern man Gott nicht in der Beichte um Vergebung bittet, harte Buße tut, sein Leben fundamental ändert und einen Schaden, der oft irreparabel ist, zu beheben sucht. Im Youcat wird dies unter „Du sollst nicht morden“ abgehandelt; in Frage 386 wird dann noch von einer besonderen Schwere des Delikts gesprochen, wenn „eine Abhängigkeit von Erwachsenen und Kindern vorliegt“. Als Personengruppen erwähnt der Jugendkatechismus ausdrücklich „Eltern, Priester, Lehrer oder Erzieher“. Die Reihenfolge stimmt. Ziemlich weit vorn muss man vom Priester sprechen, nicht etwa, weil der Priester aus der Statistik der Missbrauchstäter hervorragen würde, sondern weil es schlicht unglaublich ist, dass ein „Mann Gottes“ – und sei es nur ein einziger! – einem jungen Menschen an die Wäsche geht und dann die Heilige Messe liest. Es ist ein Skandal, dass alle Schutz- und Disziplinarmaßnahmen, angefangen bei der Beichte bis hin zur Entfernung aus dem Priesteramt und der Exkommunikation, offenkundig nicht hinreichten, damit die Kirche aus sich heraus mit dem Skandal klar Schiff machte. Viele wussten was. Und jene, die mehr wussten, griffen nicht durch, nahmen sich eher der Täter als der Opfer an.
Derjenige, der 2005 den Mund aufmachte, war ein Mann, der Tage später Papst wurde: „Wieviel Schmutz gibt es in der Kirche“, sagte Kardinal Joseph Ratzinger in seiner Karfreitagsmeditation, „und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten?“
So traurig und wahr dies alles ist, so wahr ist andererseits, was Alice Schwarzer im Februar 2010 konstatierte: „Der sexuelle Missbrauch von Kindern ist keine Erfindung katholischer Patres. Und er hat auch nichts mit dem Zölibat zu tun.“ Zum Erstaunen vieler rückte Schwarzer die Fakten zurecht: Jahr für Jahr würden allein in Deutschland etwa eine Million Kinder (!) missbraucht, und drei der vier Täter seien „keine bösen Fremden oder Lehrer, sondern es ist der eigene Vater, Onkel, Nachbar.“ Der Tatort schlechthin ist weder das Pfarrhaus noch die Sakristei, sondern die Kuschelecke im Kinderzimmer.
Die Sünde des Volkes
Der kollektive Aufschrei über die wahren Täter, die massenhaft Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchen, ist ausgeblieben. Stattdessen macht die katholische Kirche, was sie am besten kann: die ganze Sünde des Volkes auf sich zu nehmen. Sie spielt diese Rolle mit selbstquälerischer, masochistischer Lust, wie jetzt wieder am Fall Pfeiffer deutlich wird. Die Deutsche Bischofskonferenz hatte früh Maßnahmen ergriffen, um ein tief beschämendes, aber zahlenmäßig geringeres Problem in den Griff zu bekommen. 2002 verabschiedete man mit Spezialisten „Leitlinien“; Expertengremien, gerade auch mit nichtkirchlichen Fachleuten, wurden eingesetzt; Opfer wurden aufgefordert, sich zu melden. Das führte dazu, dass ab 2004 die vorliegenden Fälle und Verdachtsfälle von führenden Forensikern untersucht wurden und nur noch selten neue Fälle auftraten. 2010 verschärfte man die „Leitlinien“. Sie galten und gelten als maßstäblich im Vergleich mit anderen Institutionen, von denen viele – etwa der Deutsche Olympische Sportbund – bis heute nichts Vergleichbares vorgelegt haben.
Obwohl die Annahme gilt, dass es neben dem Tatort Familie im Therapie-, Freizeit-, Schul- und Sportbereich um Missbrauch in ganz anderen Dimensionen als bei der katholischen Kirche ging und geht. Mehr und mehr Experten sprachen die katholische Kirche vom Verdacht frei, Missbrauch sei ihr Sonderproblem. Mit ziemlicher Sicherheit kann man heute sagen, dass 99 Prozent der Missbrauchsfälle nicht im Raum der Kirche stattfinden. Die nicht gerade kirchenfreundliche Ursula Enders von der Opferorganisation „Zartbitter“ ließ im Juni 2012 wissen, das Missbrauchsproblem beträfe beide großen Kirchen in Deutschland in gleichstarker Weise: Die evangelische Kirche habe sich „lange Zeit in Sicherheit gewiegt und geglaubt,"bei uns doch nicht, das liegt ja am Zölibat". Das aber sei ein Mythos. „Missbrauch mit dem Missbrauch“, hatte der Kölner Psychotherapeut Manfred Lütz schon vor Jahren das genannt, was Medien aus dem unerträglichen, aber „statistisch kleinen“ Skandal der katholischen Kirche machten.
Die Kirche als Sündenbock
Dann kam Professor Christian Pfeiffer. Wieso Pfeiffer, wird man fragen. Wo es doch erstens Untersuchungen durch die führenden, unabhängigen Institute gab. Zweitens muss man nur den „Stern“ (www.stern.de: „Das Wohl der Opfer ist das Maß“) oder die Frankfurter Rundschau (www.fr-online.de: „Christian Pfeiffer liefert – fast immer“) lesen, um zu wissen, was von der Expertise des Mannes zu halten ist. Pfeiffer an Bord zu nehmen, resultierte wohl aus der treusorgenden Kinder- und Kirchenliebe von Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP), die eine Tateinheit mit der vorauseilenden Geknicktheit deutscher Bischöfe einging. Rund heraus gesagt war es Populismus pur. Eine auf den Hund gekommene Politik punktet mit: „Seht her, wir tun endlich was, wo es diese verkommene Kirchenbande aus sich nicht schafft!“ – und die Bischöfe gehen dem schäbigen Spiel auf den Leim.
Wider bessere Erkenntnis
Dass sie wider bessere Erkenntnis und entgegen substanzieller Warnungen die Pfeiffer-Aktion (mit)betrieben, ist ebenso schwer verständlich wie die Tatsache, dass Pfeiffer in Dienst trat, ohne dass der Vertrag zureichend ausverhandelt war. Denn natürlich ist klar, dass Diözesen die Personalakten ihrer Priester vor der medienaffinen „Seriosität“ des späten Aufklärers Pfeiffer schützen müssen, auch wenn unter den 1000 möglicherweise der eine ist, zu dessen Auffindung man das Screening aller glaubt betreiben zu müssen.
Auch unter Uni-Professoren, Therapeuten, Lehrern, Erziehern, Bürochefs usw. sind Missbrauchstäter. Ihren Aufschrei würde ich gerne hören, wenn ihre Chefs einen Generalverdacht von außen akzeptieren und alle ihre Personalakten zu Herrn Pfeiffer speditieren würden!
(Quelle: http://www.suvdata.de/sz/epaper/Ausgaben_2013/epaper_03.pdf)