Liebe Mitbrüder, liebe Mitfeiernde!
Allerheiligen: Ein willkommener Feiertag. - Und ein so richtig „katholisches" Fest: In der Kirche wird heute mit Weihrauch nicht gespart, - so war das auf jeden Fall in meiner Heimatgemeinde. Die Liturgie war noch feierlicher und der Kirchenchor hat natürlich auch gesungen. - Am späten Nachmittag, nach dem Kaffeetrinken mit der Verwandtschaft, stand dann mit meinen Eltern der Friedhofsgang an. Als Kind habe ich mich immer schon darauf gefreut: Mein Bruder und ich durften dann immer die Lichter anzünden und auf die Gräber stellen. Die Eltern hatten derweil das letzte Laub entfernt. - Irgendwie kennen wir das alle, da kommen alte Erinnerungen auf: Da wird man irgendwie „nostalgisch".
Aber: Ist das alles, was wir zu Allerheiligen zu sagen haben? - Ich bin überzeugt, dass dieses Fest nicht nur Schnee von gestern ist, sondern auch heute noch eine große Bedeutung hat. Zwei Gedankengänge möchte ich dazu ausführen; der erste will zeigen, wie aktuell dieses Fest ist. - Der andere, warum Allerheiligen mir sympathisch ist.
Zum ersten Gedankengang: Gerade heute ist Allerheiligen für mich von großer zeichenhafter Bedeutung! Wir leben in einer Zeit in der Egoismus immer mehr alle Lebensbereiche erfasst. Da versucht so jeder, möglichst der Schmied seines eigenen Glückes zu sein. - „Unabhängig" möchte man heute sein. Familie, Ehe, Kranke und Alte bleiben da oft auf der Strecke.
Viele Menschen haben sich abgenabelt von der Kirche und vom Glauben. Und da gibt es dann natürlich auch keine großartige Perspektive für die Zukunft mehr. Da wird dieses Leben dann zur „letzte Gelegenheit". Da versuchen viele das Leben wie eine Zitrone auszupressen, um möglichst viel an Genuss und Gewinn herauszubekommen. Der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner hat hierfür ganz passende Worte gefunden: „Früher lebten die Menschen 30 Jahre - und dann eine Ewigkeit. - Heute leben die Menschen 90 Jahre und dann, dann ist alles vorbei". Und um alles für sich herauszuholen, ist fast jedes Hilfsmittel recht: sei es nun irgendeine Schamanenweisheit oder eine Meditationsmethode aus dem Fernen Osten. - Elia kannte 450 falsche Propheten, - heute sind es wahrscheinlich mehr! -
In der Erlebnisgesellschaft gibt es immer exotischeren Angebote: Extremsport oder Erlebnisurlaub sind angesagt. Die einen suchen den „persönlichen Kick" in der Erleuchtung. - Andere gehen bis an ihr Limit, um Risiko und Spaß (risk and fun) miteinander zu verbinden. Auf jeden Fall läuft so ein Egotrip fast immer auf eines hinaus: - Es ist der Versuch, für sich allein den „Himmel auf Erden" zu erstürmen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Allerheiligen drückt dagegen etwas ganz anderes aus: Niemand kommt allein in den Himmel! Glück und Seligkeit sind ohne den Nächsten nicht zu haben. Und auch der Aufruf „Rette deine Seele" darf also nicht egoistisch-falsch verstanden werden. Der Weg zum Himmel führt nur über meine Mitmenschen. Und Allerheiligen ist für mich ein Zeichen dafür: Wir sind gemeinsam - als Volk Gottes - unterwegs. - Nur gemeinsam können wir unser Ziel, das ewige Leben, zu erreichen. - Wie gesagt: Den Himmel kann man nicht im Alleingang erstürmen!
Ein zweiter Gedankengang: Warum ist mir Allerheiligen sympathisch?
Es gibt sicherlich viele große Heilige in der Kirche. Und deren Leben und Werk hat sich über die Jahrhunderte hinweg als ein vorbildlicher Weg bewährt. So wie es im weltlichen Leben hilfreich sein kann, einen heißen Draht zu einem Minister zu haben, so möchte man seine eigenen Anliegen durch einen ganz bestimmten himmlischen Fürsprecher absichern.
Da lobe ich mir an Allerheiligen alle „unbekannten" Heiligen, die keine Einzelinteressen vertreten. Es sind die in der Lesung erwähnten 144.000, also eine unzählbare Schar. Es sind die Heiligen, die wir in keinen Heiligenkalender finden. Es sind die Heiligen, denen das Himmelreich gehört, weil sie „arm vor Gott waren" - oder weil sie „ein reines Herz" hatten. Es sind die „Trauernden" und „die Barmherzigen". - Wir haben es gerade im Evangelium gehört. - Sie alle sind in Gottes Ewigkeit eingegangen. - Und nun begleiten sie vom Himmel her unseren alltäglichen Weg.
Liebe Brüder und Schwestern!
Aber vor allem ist mir Allerheiligen sympathisch, weil zu diesen Heiligen auch jene gehören, die wir noch persönlich kennen lernen durften, die uns jedoch schon in die Ewigkeit voraus gegangen sind. All jene, die einen besonderen Platz in unseren Herzen haben. Dazu gehören unsere lieben Verwandten, viele Freunde und gute Bekannte, mit denen wir gemeinsame ein Stück unseres Lebensweges gehen durften. So haben wir alle auch unsere eigenen Heiligen, auch wenn sie wahrscheinlich wohl nie zur „Ehre der Altäre" erhoben werden, an die wir heute besonders denken dürfen. Ihre Seligkeit kann auch unserem Leben Richtung und Halt geben. -
Und an Allerheiligen feiern wir genau diese "Solidarität zwischen Himmel und Erde": Die Heiligen, darunter auch unsere lieben Verstorbenen, treten fürbittend für uns ein. - Dankbar feiern wir das heute. - Und wir beten zugleich für unsere lieben Verstorbenen, - das feiern wir morgen an Allerseelen. Die Grenzen zwischen Himmel und Erde sind fließend geworden, seit der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus!
Mit einer- mehr oder weniger- bekannten Kurzgeschichte aus dem Roman „Die Brüder Karamasoff" von Dostojewski möchte ich meine Gedanken zum heutigen Fest abschließen. - Sie finden den 1300-Seiten Roman in jeder guten Bibliothek, - (die Mitbrüder auf dem ehemaligen Kornspeicher unter „Neue Sprachen".) Ganz bildhaft und klar bringt diese tiefsinnige Geschichte zum Ausdruck, was Allerheiligen uns sagen möchte: Niemand kann alleine den Himmel erstürmen! - Und es gibt eine Solidarität zwischen dem Himmel und der Erde!
Also: "Es lebte einmal ein altes Weib, das war sehr, sehr böse und starb. Die Alte hatte in ihrem Leben keine einzige gute Tat vollbracht. Da kamen dann die Teufel, ergriffen sie und warfen sie in den Feuersee. Ihr Schutzengel aber stand da und dachte: Kann ich mich denn keiner einzigen guten Tat von ihr erinnern, um sie Gott mitzuteilen? Da fiel ihm etwas ein: Sie hat einmal aus ihrem Gemüsegarten ein Zwiebelchen herausgerissen und es einer Bettlerin gegeben. Und Gott antwortete ihm: Nimm dieses Zwiebelchen und halte es ihr hin in den See, so dass sie es ergreifen und sich herausziehen kann. Und wenn du sie aus dem See herausziehen kannst, so möge sie ins Paradies eingehen. Wenn aber das Zwiebelchen reißt, so soll sie bleiben, wo sie ist. Der Engel lief zum Weibe und hielt ihr das Zwiebelchen hin. „Nun", sagte er zu ihr, „faß an; wir wollen sehen, ob ich dich herausziehen kann." Und er begann vorsichtig zu ziehen - und zog sie beinahe schon ganz heraus. Als aber die anderen Sünder bemerkten, dass sie herausgezogen wurde, klammerten sie sich alle an sie, damit man auch sie - mit ihr zusammen - herauszöge. Aber das Weib war böse, sehr böse und stieß mit ihren Füßen zurück und schrie: „Nur mich allein soll man herausziehen und nicht euch; es ist mein Zwiebelchen und nicht eures." - Wie sie aber das ausgesprochen hatte, riss das kleine Pflänzchen entzwei. Und das Weib fiel in den Feuersee zurück und brennt dort noch bis auf den heutigen Tag. Der Engel aber weinte und ging davon." [Dostojewski, Die Brüder Karamasoff, III 7 3].
Amen.
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Predigt zum Hochfest Allerheiligen am 1. XI. 2003 (Konventamt, St. Ottilien)
L 1: Offb 7,2-4.9-14; L 2: 1 Joh 1-3; Ev: Mt 5,1-12a