Samstag, 2. Mai 2020

Herbert Huber: Nirvana und Ewigkeit. Östliches und Westliches in Richard Wagners Dichtungen


In dem Hauptwerke Arthur Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ finden sich einige Zeilen, die man, von heute aus geurteilt, als Prophezeiung zu lesen versucht sein könnte: „In Indien fassen unsere Religionen nie und nimmermehr Wurzel: die Urweisheit des Menschengeschlechts wird nicht von den Begebenheiten in Galiläa verdrängt werden. Hingegen strömt Indische Weisheit nach Europa zurück und wird eine Grundveränderung in unserm Wissen und Denken hervorbringen“ . Ist es nicht tatsächlich so, dass trotz der christlichen Missionierungsbemühungen unser Jahrhundert eine Renaissance ohnegleichen des Islam, des Buddhismus, des Hinduismus und vieler anderer teils archaischer teils stammesgebundener Religionen erlebt? Hat Schopenhauer also nicht recht, wenn er dem Christentum wenig Erfolgsaussichten bei jenen Kulturen einräumt? Und hat er nicht auch damit recht, dass es nicht bei der Selbstbehauptung der östlichen Religionen bleibt, sondern dass deren Vorstellungen – in einer gleichsam umgekehrten Missionierung – untereinander bunt vermischt nach Europa strömen? In der Hippie-Bewegung der sechziger Jahre unseres Jahrhunderts finden wir eine vor allem bei Jugendlichen sehr breitenwirksame Sehnsucht nach der Auflösung des eigenen Ich in der quasi-mystischen Vereinigung mit weiteren Horizonten. Nachdem eine Zeit lang solche Entindividualisierung auf politischem Wege gesucht wurde, indem der Einzelne sich im Rahmen einer marxistischen Theorie auf eine gesellschaftliche Funktionsgröße reduzieren ließ, sehen wir seit längerem einen religiösen Supermarkt erblühen, dessen Angebot inzwischen von keltischen Druiden über feministische Hexen, buddhistisch inspirierte Sekten, okkulte und esoterische Heilslehren bis hin zu den sich philosophisch gebenden Spekulationen der Theoretiker des sogenannten „New Age“ reicht. Meditation, Loslösung vom Ich, Verschmelzung mit dem Ganzen, - das ist heute streckenweise sogar in den christlichen Kirchen zur Mode geworden. Das religiöse Verhältnis des Menschen zur Gottheit wird heute nicht selten ersetzt durch trunkene Gruppenerlebnisse und durch den als Naturfrömmigkeit mißdeuteten Einsatz für den Umweltschutz.


Türkheim, im Frühjahr 2002

Herbert Huber

>> Download des Manuskripts (PDF, 24 Seiten, 317k)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen