Sonntag, 27. Juli 2003

Der Lumpensammler von Tokio

Einer, der Gottes Wirken bezeugen wollte
Eine Erinnerung an Pater Gereon Goldmann OFM

Mitte der neunziger Jahre. Ins Mutterkloster der Franziskaner auf dem Frauenberg war ein alter Pater zurückgekehrt: Pater Gereon Goldmann. Ein Japan-Missionar, dessen Leben – nach Aussagen eines jungen Diakons – „Stoff für Romane“ böte. Das machte neugierig, und die Lektüre der Jugend- und Kriegserinnerungen von Pater Gereon, „Tödliche Schatten – Tröstendes Licht“, noch viel mehr.
Was hatte der Mann nicht alles erlebt: Geburt 1916 in Fulda als Sohn eines Tierarztes, Tod der Mutter, die Begegnung mit einer prophetisch begabten Ordensschwester, Umzug nach Köln, Eintritt in den Franziskanerorden, Einberufung zur Wehrmacht, Strafversetzung zur Waffen-SS, Kontakt zur Widerstandsgruppe des 20. Juli mit Kurierdiensten nach Frankreich und Italien, Audienz bei Pius XII., Erteilung der päpstlichen Sondervollmacht zur Priesterweihe ohne Theologiestudium, Gefangennahme auf dem Monte Cassino, Einlieferung in Kriegsgefangenenlager in Marokko und Algerien, Priesterweihe, Todesstrafe und Begnadigung.

Immer wieder war Pater Gereon dem Abgrund begegnet, stets war er gerettet worden. „Wie die Geier stürzten sich die Flugzeuge auf das enge Tal und warfen ihre Bomben ab. Alles suchte hastig irgendeine Deckung. Ich dachte urplötzlich: Schnell auf den Bauch! Ich lag ja immer noch mit dem Rücken nach unten. Im Moment, da ich mich umdrehte, um das Allerheiligste zu schützen, regnete es Stahl, Steine, Erde und Staub.“

In den Fünfzigern begann es

Dabei begann das eigentliche Abenteuer, die eigentliche Berufung erst später, Mitte der fünfziger Jahre. Mit dem Abflug nach Japan, wo Pater Gereon die Pfarrei Sankt Elisabeth in Tokio, Itabashi-Ku übernahm. Er sammelte Lumpen, um verschiedene Projekte zu finanzieren: den Bau von Kirchen, Heimen, Krankenhäusern, Sozialstationen, Wohnungen. Er predigte und taufte und baute sogar ein Kirchenmusik-Institut auf, das St. Gregorius-Institut für Kirchenmusik und Liturgie. Anfang der neunziger Jahre besuchte ihn das japanische Kaiserpaar, in Anerkennung für seine sozialen Dienste. In Fulda sollte Pater Gereon sich ab Mitte der neunziger Jahre ausruhen, seine Gesundheit war nicht mehr die Beste. Doch ständig kamen Besucher aus Japan, die ihn sehen wollten: Beichtkinder, Täuflinge, Musikergruppen. Er lebte in einem kleinen Zimmer, ging morgens zur Frühmesse in die Kirche. Verbrachte viel Zeit im Gebet, las Bücher zur Kirchengeschichte und erledigte immer noch geschäftliche Korrespondenzen: Spendenbescheinigungen, Darlehen für Bedürftige. Unvergesslich, wie der große Mann mit den grauen Haaren und den wachen Augen nach einer Beichte in seinem Zimmer spitzbübisch lächeln konnte. „So, jetzt wollen wir uns mal einen Schluck genehmigen“, sagte er dann und goß seinen Lieblingslikör vorsichtig in zwei kleine Gläser, um bald darauf mit rheinländischer Leichtigkeit von Fügungen und Führungen, Geheimnissen und Gnaden jenseits aller Zeit- und Landesgrenzen zu erzählen. Bodenständig, ohne falschen Weihrauch.

Tiefer Glaube an die Vorsehung

Doch so menschlich und unterhaltsam er war, so sehr konnte und wollte Pater Gereon Gottes Wirken bezeugen. Ernst und geschliffen: „Alles, was auch immer im Leben geschehen mag, geschieht unter der gütigen und oftmals unverständlichen Vorsehung einer ewigen Liebe. Freude und Leid, Erfolg und Misserfolg, Krankheiten und Nöte aller Art, alles schlägt zum Guten, ja zu unserem Besten aus, wenn wir die Überzeugung bewahren, dass Gott uns sieht, uns hört und liebt, wenn wir uns an Ihn wenden. Die Brücke zu Ihm ist das Gebet und die heilige Euchariste.“ In der Nacht zum 27. Juli ist Pater Gereon Goldmann OFM im Alter von 86 Jahren gestorben.

Stefan Meetschen
(DIE TAGESPOST vom 02.08.2003)