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Samstag, 2. August 2025

Von der Faszination historischer Aufnahmen (9): Wagners erster Akt der "Walküre" unter Karl Elmendorff in atemberaubender Klangqualität (1944)

Es ist seltsam, dass eine so glanzvolle Aufführung in einer Zeit schrecklicher Zerstörung stattfinden konnte: Wenige Tage nach der Aufnahme in den Studios des Dresdner Rundfunks wurde die Stadt durch Bombenangriffe zerstört. Die meisten deutschen Opernhäuser hatten bereits geschlossen, sodass namhafte Sänger die Möglichkeit hatten, bei Rundfunkaufführungen im Studio aufzutreten. Diese Aufnahme ist seit einigen Jahren bei Preiser erhältlich und hat mich stets durch ihre hohe Qualität begeistert. Ihr verblüffendstes Merkmal ist die Unmittelbarkeit und die atemberaubende Klangqualität der Aufnahme selbst, die den meisten kommerziellen, speziell angefertigten Sets ihrer Zeit weit überlegen ist. Die Stimmen sind so klar und eindringlich, dass man fast glaubt, sie seien mit im Raum, und der Orchesterklang steht dem in Präsenz und Detailreichtum in nichts nach. Unter den sicherlich einschränkenden Umständen des Krieges ist diese Leistung umso bemerkenswerter. 

Elmendorff, der damalige Musikdirektor der Dresdner Staatsoper, befand sich mit 53 Jahren möglicherweise auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Sein Dirigat zeugt von einer Autorität, die sich aus der gründlichen Kenntnis einer Partitur ergibt, die er bei den Bayreuther Festspielen und anderswo mehrfach dirigiert hat. Das Tempo des ersten Aktes, der manchmal zäh oder langweilig wirken kann, ist hier ideal, mit klarem Blick auf die Gesamtstruktur, nie übereilt, stets lebendig. Die Blechbläser sind nicht immer absolut stimmig; ansonsten entspricht das Spiel der Sächsischen Staatskapelle allen hohen Erwartungen. 

Der bemerkenswerteste Aspekt des Gesangs ist die Klarheit und der idiomatische Charakter der Diktion: Jedes Wort der drei Sänger ist verständlich, ohne dass ein Libretto benötigt wird. Max Lorenz war der amtierende Siegmund seiner Zeit. Er zeigt seine gewohnte Vitalität und Begeisterung. Seine Interpretation ist nicht so innerlich oder tief empfunden wie die von Melchior oder Suthaus, hat aber eine jugendliche Helligkeit im Timbre, die dem Charakter des jungen Mannes angemessen erscheint. Wie gewohnt geht er gelegentlich freizügig mit Notenwerten um. Teschemacher übertrifft hier ihre gewohnte Form mit einem frischen, offenen Ton, den man heute in der Rolle der Sieglinde so selten hört; alles wird natürlich und charaktervoll vorgetragen. Böhmes düsterer, unerbittlicher Hunding ist einer der besten auf CD, vergleichbar mit Frick, Moll und Salminen. 

Ein absolutes Muss für jeden Wagnerianer!

Dienstag, 24. Juni 2025

Wagner zum Johannistag (24. Juni)

 Auch das ist Wagner: Zu Ehren des hl. Johannes der Eingangschoral aus "Die Meistersinger von Nürnberg". Wer hätte das gedacht?

Da zu dir der Heiland kam,
willig deine Taufe nahm,
weihte sich dem Opfertod,
gab er uns des Heils Gebot,
dass wir durch sein' Tauf' uns weih'n,
seines Opfers wert zu sein.
Edler Täufer, Christ's Vorläufer!
Nimm uns gnädig an, dort am Fluss Jordan!

Donnerstag, 22. Mai 2025

HAPPY BIRTHDAY, MAESTRO!

„Ich glaube an Gott, Mozart und Beethoven, und ebenso an ihre Jünger und Apostel; – ich glaube an den Heiligen Geist und die Wahrheit der einen, unteilbaren Kunst; – ich glaube, dass diese Kunst von Gott ausgeht und in den Herzen aller erleuchteten Menschen lebt; – ich glaube, dass der, der einmal in den erhabenen Freuden dieser hohen Kunst gebadet hat, ihr für immer geweiht ist und sie niemals verleugnen kann; – ich glaube, dass durch die Kunst alle Menschen gerettet werden.“ 

Richard Wagner 

(Dieses Zitat stammt aus seiner Novelle "Eine Pilgerfahrt zu Beethoven" aus dem Jahr 1840)

Montag, 7. April 2025

Was ein Mönch so hört (1) - James Rutherford sings Wagner

Viele Sänger meiden Wagner bis ins hohe Alter; andere - wie James Rutherford - scheinen für diese Herausforderung geboren zu sein. Rutherford absolvierte eine gute Ausbildung, doch der Sieg beim Internationalen Wagner-Wettbewerb in Seattle führte ihn mit nur 37 Jahren dazu, seine reifste Rolle, den Hans Sachs, ab 2010 in Bayreuth zu singen. Seitdem hat er viele weitere Rollen international gesungen.

Die Stimme des in Norfolk geborenen Bassbaritons ist bei diesem Auftritt nahezu ideal – schokoladenbraun und voll im Ton, mit einer natürlichen Mühelosigkeit und Sicherheit, die viele berühmtere Vertreter in den Schatten stellt. Er nähert sich Hans Hotters „Belcanto- Wagner“-Ideal, aber mit schneidend klarer Diktion. Seine Ausdrucksstärke ist nicht übertrieben oder protzig, ohne auf übertriebene Pianissimi zurückzugreifen, aber sie ist vorhanden – besonders bei Sachs und dem Holländer. Sogar Wotans schwierige Lage verrät wenig Anstrengung; er klingt in der Rolle natürlicher als beispielsweise Bryn Terfel, aber nicht weniger berührend. 

Andrew Litton und das Bergen Philharmonic Orchestra begleiten perfekt und die Klangqualität der Aufnahme ist phänomenal. Diese CD ist wirklich eine Empfehlung wert.

 

Freitag, 4. April 2025

Gutes kann so preiswert sein: Der "5 Euro Lohengrin" mit Rudolf Schock unter Wilhelm Schüchter (1953)

In meiner CD-Sammlung befinden sich 18 Lohengrin-Aufnahmen. Und ich muss feststellen, dass die preiswerteste zu den allerbesten gehört. Wilhelm Schüchter dirigierte sie 1953 in Hamburg. 

Sein straffes, theatralisches Dirigat schafft es, die komplexe Partitur ständig in Bewegung zu halten, ohne unnötig zu verweilen, aber auch ohne seine Besetzung übermäßig zu drängen. Schüchter und das NDR-Sinfonieorchester zeigen in vorbildlicher Weise, dass große Oper auch ein echter Krimi sein kann. Kein musikalischer Effekt wird ausgelassen: Fabelhaft, wunderbar! 

Und die Sänger erfüllen durchgehend alle an sie gestellten hohen Anforderungen mit Bravur. Schock singt mit einem Heldentenor der alten Schule eine leidenschaftliche, lyrische und doch paradoxerweise heroische Interpretation der Titelrolle, die keine Wünsche offen lässt und in einer spontanen Erzählung und einem von Herzen kommenden Abschied gipfelt. Rudolf Schocks goldener, attraktiver Tenor, der dem von Franz Völker, dem führenden Lohengrin der 1930er Jahre so ähnlich ist, bietet wahre Verzückung, ist jedoch im Vergleich einen Hauch extrovertierter. 

Kloses Ortrud ist einfach in jeder Hinsicht großartig. Sie bildet einen schönen Kontrast zwischen ihrem lächelnden, falsch loyalen Ton, als sie Elsa unterwürfig anspricht, und ihren furchterregenden Verwünschungen, als sie ihr wenige Takte später vor der Kathedrale gegenübersteht. Gleichzeitig macht sie ihrem Gatten Telramund durch ihre stark artikulierte Ermutigung wieder neuen Mut. Dies ist eine Interpretation, die einem Vergleich mit den allerbesten Ortruds auf CD standhält, etwa Varnay und Ludwig. Ihr passender Partner ist Metternichs schneidend gesungener Telramund, ein Bariton, der seine Argumente ohne Gebell oder Sprechgesang vertritt. Nur Uhde in der Bayreuth/Teldec-Version von 1953 unter Keilberth ist Metternich ebenbürtig. 

Cunitz hat als mädchenhafte Elsa (gemeinsam mit Schock) wunderbare Momente. Sie versteht ihre Rolle und singt viele relevante Phrasen, nicht zuletzt in ihren Soli, sehr beherzt. 

Frick ist als König Heinrich ein Fels in der Brandung, besser als jeder andere in dieser Rolle. Er singt mit seinem festen, dunklen Bass und mit viel Autorität, gemildert durch tiefes Gefühl. Frick ist, wie praktisch alle Sänger in dieser Aufnahme, von der Sprache der Musik durchdrungen und vermittelt dem Text echte Bedeutung. Das gilt in gleichem Maße für Josef Metternich, einen zutiefst bösen Telramund, der Uhde an lebendiger Aussprache in nichts nachsteht. 
 
Die großartigen norddeutschen Chor-Truppen singen mit voller Überzeugung. Der sehr gute Mono-Sound stellt die Solisten in den Vordergrund, wo sie auch sein sollten. 

Dieser "Lohengrin" gehört zu den besten Aufnahmen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und kann durchaus konkurrieren mit denjenigen aller anderer großer Dirigenten jener Zeit. 

Schön ist letztendlich auch, dass jeder der drei Akte auf jeweils eine CD passt.

Fazit: Die beste 5 Euro-Investition, die ich je gemacht habe. - Sie werden es nicht bereuen, es mir nachzutun!

 

Donnerstag, 13. März 2025

Meine persönlichen 6 Referenzaufnahmen von Tristan und Isolde

Wagners "Tristan und Isolde" ist vielleicht das musikalisch anspruchsvollste, revolutionärste und auch "modernste" Werk des Meisters. Meine 6 persönlichen Favoriten möchte ich Ihnen an dieser Stelle vorstellen. Dabei möchte ich auf das Standardwerk "Hermes Handlexikon: Opern auf Schallplatten" von Karl Löbl und Robert Werba zurückgreifen, denn diese beiden Autoren verstehen es vorzüglich, es auf den Punkt zu bringen. In chronologischer Reihenfolge folgen nun die ersten vier Referenzaufnahmen: 

1) Herbert von Karajan (1952)
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele,
Tristan: Ramon Vinay, Isolde: Martha Mödl, König Marke: Ludwig Weber, Kurwenal: Hans Hotter, Brangäne: Ira Malaniuk (Orfeo)

Mit der Mödl und Vinay trat eine neue Generation für Wagner an, wurde in Bayreuth ein neuer Tonfall kreiert. Beide waren imstande, das Innenleben ihrer Bühnenfiguren, das Menschliche an deren Beziehung musikalisch auszudrücken. Das Schlagwort vom "Musiktheater" - hier hat es Sinn. Karajan formt es hörbar mit. 

2) Wilhelm Furtwängler (1952)
Covent Garden Chor, Philharmonia Orch. London,
Tristan: Ludwig Suthaus, Isolde: Kirsten Flagstad, König Marke: Josef Greindl, Kurwenal: Dietrich Fischer-Dieskau, Brangäne: Blanche Thebom (EMI)

Vergleicht man die monumentalen Darstellungen mit E. Kleiber, de Sabata, Karajan, erkennt man die Relativität der musikalischen Notation: Keiner verstößt gegen die Partitur, jeder legt sie anders aus. Furtwängler absolut heroisch, breit, zergrübelt, mit der Flagstad und Suthaus in imponierender vokaler Leidenschaft.

3) Karl Böhm (1966)
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele,
Tristan: Wolfgang Windgassen, Isolde: Birgit Nilsson, König Marke: Martti Talvela, Kurwenal: Eberhard Wächter, Brangäne: Christa Ludwig (DG)

Böhms schönste, ergreifendste Wagner-Interpretation, getragen von großer Ruhe und Souveränität, dominiert von einer Wehmut, die sich auf die Sänger übertragen hat. Die Nilsson und Windgassen lassen Schmerzlichkeit anklingen, die auch in den Brangäne-Rufen und in Kurwenals Reaktionen fühlbar wird. Wagner ist kein Denkmal mehr.

4) Carlos Kleiber (1981)
Rundfunkchor Leipzig, Staatskapelle Dresden,
Tristan: Rene Kollo, Isolde: Margaret Price, König Marke: Kurt Moll, Kurwenal: Dietrich Fischer-Dieskau, Brangäne: Brigitte Fassbaender (DG)

Carlos Kleiber enthemmt alle Leidenschaften, alle Ekstasen und Stürme, alle Verzweiflung und Trauer, indem er Wagner beim Wort nimmt: Es ist der aufregendste, hitzigste Tristan, der sich nur denken läßt, besetzt mit einem leichten, an Mozart geschulten Sopran, einem schlanken Tenor und auch rundum erstklassig. Ein Ereignis.

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Soweit die 4 Referenzaufnahmen, die sich allgemeiner Bekanntheit erfreuen dürften. Diese möchte ich um zwei weitere (unbekanntere) ergänzen, denen ich bereits eigene (ausführlichere) Posts gewidmet habe:

5) Eugen Jochum (1953)
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele,
Tristan: Ramon Vinay, Isolde: Astrid Varnay, König Marke: Ludwig Weber, Kurwenal: Gustav Neidlinger, Brangäne: Ira Malaniuk (Andromeda)

6) Asher Fisch (2018)
WASO Chorus, West Australian Symphony Orchestra,
Tristan: Stuart Skelton, Isolde: Gun-Brit Barkmin, König Marke: Ain Anger, Kurwenal: Boaz Daniel, Brangäne: Ekaterina Gubanova (ABC Classic)



Mittwoch, 19. Februar 2025

Buchtipp - Alex Ross: Die Welt nach Wagner - Ein deutscher Künstler und sein Einfluss auf die Moderne

Ein Standardwerk über den großen Komponisten - von einem der angesehensten Musikkritiker der USA. Beginnend mit dem Tod Wagners erzählt Alex Ross, was für uns zur Gegenwart geworden ist: Wir leben und sehen die Welt seit Wagner mit seinen Augen, seine Themen und Szenen prägen auch heute noch unser gesellschaftliches Bühnenbild. Wagner ist für Ross ein deutsches Drama, das sich aus der Wirklichkeit, aber auch aus dem Wahn speist. Sein Buch ist eine eindrucksvolle Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, durchzogen von dem Erbe Richard Wagners - der widersprüchlich war, ungreifbar, vielleicht sogar unvollendet. Nur so ist auch seine Musik und sein Nachleben in Deutschland zu verstehen: Wir sind noch immer Wagner. 

Die „Schatten“, die ex post auf Wagner und sein Werk projiziert wurden, möchte Ross weder kleinreden noch wegdiskutieren. Er stellt ihnen jedoch in einer monumentalen Studie die Glanzlichter einer seit bald zwei Jahrhunderten ununterbrochen brodelnden Auseinandersetzung mit (und um) Wagner entgegen. In seiner Breite und Vielfalt, aber ebenso in seiner Widersprüchlichkeit hat dieser Diskurs wenige Entsprechungen in der Kulturgeschichte. Auf annähernd tausend eng bedruckten Seiten summiert sich seine in zwölf Jahren zusammengetragene Enzyklopädie der Wagner-Lesarten. Keine einzige davon möchte man missen. Es bleibt ein klares Bild mit Hunderten feingezeichneter Details und Facetten. In einer Zeit, die ein fatales Bedürfnis nach einfachen Antworten wiederentdeckt, ist dieses Buch das eindringlichste Plädoyer gegen jegliche Schwarz-Weiss-Malerei, gerade bei diesem Jahrhundertkomponisten. 

(Christian Wildhagen  - Neue Zürcher Zeitung)

Jetzt wagt sich Alex Ross, Musikkritiker des „New Yorker“, an eine Aufgabe, für die bei Wagner die Riesen aus „Rheingold“ zuständig wären: Er baut eine 906 Seiten starke Burg, in deren Räumen er spektakuläre Funde der Wagner-Literatur zusammenträgt. Von der Zeitachse aus arbeitet sich der Generalist Ross durch sämtliche Etagen, durch Politik und Kunst, Philosophie und Werkdeutung, Theologie und Kompositionslehre. Das Ergebnis ist grandios. Wer dem Meister auf höchstem Niveau begegnen möchte, muss in „Die Welt nach Wagner“ eindringen. 

(Wolfram Goertz  - Rheinische Post)

Von Schlümpfen und Heldentenören - Mein Wagner Erstkontakt

“Wer zu Richard Wagner geht, kommt bei ihm um. Auf rätselhafte Weise macht seine Kunst viele Konsumenten bereits beim Erstkontakt süchtig. Danach gibt es kaum Möglichkeiten des Schutzes oder der Immunisierung.” - So sieht es Wolfram Goertz in einem 2013 erschienenen Artikel in der “Zeit” zum 200. Geburtstag des Meisters. Und er hat recht. So weit ich mich erinnern kann, fand mein Erstkontakt mit 13 oder 14 Jahren statt. Meine Mutter sagte mir einmal, dass ich ungefähr zu dieser Zeit anfing, mir anstatt Schlümpfe für meinen Setzkasten, lieber Langspielplatten mit klassischer Musik zu wünschen. Unter diesen ersten Schallplatten war ein Doppelalbum des spanischen Startenors Placido Domingos, den ich zuvor nur aus dem Radio kannte und dessen Stimme mich begeisterte. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass noch bevor ich Wagnerianer wurde, ich ein großer Domingo-Fan war (und es bis heute noch bin): Domingo ist - zusammen mit Fritz Wunderlich - einfach “der Größte”. 

Auf diesem Doppelalbum war nun auch ein Ausschnitt aus Wagners “Meistersinger von Nürnberg”, Walter von Stolzings Preislied “Morgenlich leuchtend” aus dem 3. Akt. Hier können Sie es anhören:

   

Dieses Preislied war also mein “Wagner Erstkontakt”. Und ich war begeistert und hörte mir diese Stelle wieder und wieder an. Ich war “infiziert” und begann mich in unserer Stadtbücherei ausführlicher über das Leben und Werk Richard Wagners zu informieren. Und natürlich wollte ich nun unbedingt mehr hören, eine ganze Wagner Oper oder besser noch, gleich Wagners monumentalen Vierteiler, den “Ring des Nibelungen”. So sammelte ich mein Taschengeld für dieses LP-Grossprojekt und schlug dann zu: Karl Böhms legendärer Bayreuther “Ring” aus dem Jahr 1966. 15 Stunden Wagner nonstop! Denn bei Wagner wird nichts im Kleinformat vorgeführt, seine Opern sind ganz großes Kino.

Wagner war kein Nostalgiker, sondern leidenschaftlicher Revolutionär, der sich mit den bestehenden Verhältnissen überhaupt nicht abfinden wollte. Bei genauerer Betrachtung ist der "Ring" auch keine verklärende Germanen-Sage. Vielmehr ging es um Gesellschaftskritik in archaischem Gewand. Text, Bild und Musik sollten zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen und die Handlung zum Menschheitsgleichnis werden. Es geht um den Gegensatz von Geld und Liebe und die zerstörerische Kraft des Machtstrebens. - 

Aber in diesem Beitrag soll es darum gehen, wie Wagners Musik mir zum unverzichtbaren Alltagsbegleiter wurde. Und nichts eignet sich besser als "Einstiegsdroge", als das Vorspiel zu "Das Rheingold", dem ersten Teil des Opernvierteilers. Hören wir also die ersten 4 Minuten (bei gefallen auch länger) des "Rings" in der bereits angesprochenen Bayreuther Einspielung unter Karl Böhm, meiner ersten Wagner-Gesamtaufnahme auf LP:

   

Im Wasser beginnt alles Leben und endet auch dort am Ende der "Götterdämmerung". Im berühmten 136 Takte dauernden Vorspiel, in dem sich die Keimzelle allen Werdens, als „Es“ in den Kontrabässen allmählich aus dem Urschlamm herauslöst, lässt Wagner den Klang wie aus dem Nichts entstehen. Zum „Es“ intonieren die Fagotte in völliger Ruhe, es regt sich „Leben und Weben“, dann kommen die Hörner dazu, die in weichen Piano-Linien, übergangslos in aufsteigenden Hornquinten das „Werde-Motiv“ bilden. So entsteht nach und nach der vollständige Es-Dur Akkord, die Streicher gehen in eine immer bewegtere Wellenbewegung über, die im jubelnden lautmalerischen Gesang der Rheintöchter gipfelt.

Das ist pure Klangmagie: Musik aus dem Nichts. 

Etwas vergleichbares hatte ich zuvor noch nie gehört. Und auch heute bekomme ich - wie damals - noch immer eine "Gänsehaut", wenn ich das Rheingold-Vorspiel live im Opernhaus (besonders in Bayreuth) oder auf Tonträgern höre. 

So begann "Wagners einzigartiges Werk, in dem sich Mythos und Modernität, Klangmagie und Seelenzauber, Verführungskraft und Menschlichkeit zu einem Netz verknüpfen, das unsere ganze Seele gefangen nimmt" (Dieter Borchmeyer), mein Leben für immer zu verändern.

Mittwoch, 12. Februar 2025

Von der Faszination historischer Aufnahmen (8) - Bruno Walters legendäre Kultaufnahme des ersten Aktes der Walküre mit Lauritz Melchior und Lotte Lehmann (1935)

Diese CD ist nicht nur ein Muss für alle "Wagner-Apostel", sondern sie dürfte auch allgemein die Freunde historischer Klangdokumente interessieren - seien es die Fans von großen Jahrhundert-Dirigenten, bedeutenden Gesangssolisten oder von Orchestern wie den Wiener Philharmonikern. 

Am 22. Juni 1935 fand sich d i e Starbesetzung für Wagner- Opern zur Aufnahme des 1. Aktes der Oper "Die Walküre" in einem Wiener Tonstudio ein, noch nicht wissend, dass eine Kultaufnahme mit Referenzstatus entstehen würde. Die Besetzung: Der unübertroffene dänische Heldentenor Lauritz Melchior als Siegmund, die ausdrucksintensive Sopranistin Lotte Lehmann als Sieglinde und einer der wohl dunkelsten und finstersten Bässe, Emanuel List, als Hunding. Die Klangtechnik der Dreißiger Jahre hat freilich nicht die glatte Stereo-Perfektion der heutigen Zeit, aber man hat die Originale behutsam und sorgfältig restauriert. Die Aufnahme ist sehr lebendig durch ihr dramatisches Feuer. 

Lauritz Melchior, immer schon ein Ausnahmesänger, erfüllt den Siegmund mit verzehrender Intensität und gestaltet bis in die Details höchst ausdrucksstark. Lotte Lehmann lässt den ganzen Glanz ihrer herrlichen, lyrischen Stimme hell aufstrahlen. Sie hat eine sehr schöne Stimme, die ideal für Sieglinde ist: im Kern solide, aber mit weichen Kanten, und auch sie hat eine vorbildliche Diktion und ein ausgezeichnetes Legato. Emanuel List gestaltet den Hunding schwarzstimmig, mächtig im Klang und düster drohend. Und dies alles unter dem Dirigenten Bruno Walter, der die Wiener Philharmoniker musikalisch auf Hochtouren bringt. Unterstützt durch das strahlende Spiel des Orchesters beschwört er Wagners einzigartige Welt aus vermischtem Klang und Emotion herauf wie kein anderer.

Ein erschütterndes, legendäres Musiktheatererlebnis und die Krönung aller historischen Wagner-Dokumente.

Samstag, 1. Februar 2025

Von der Faszination historischer Aufnahmen (7) - Rudolf Kempes' Dresdner Meistersinger

Richard WAGNER (1813-1883) 
Die Meistersinger von Nürnberg – Oper in drei Akten (1868)

Hans Sachs – Ferdinand Frantz;  Veit Pogner – Kurt Böhme;  Sixtus Beckmesser – Heinrich Pflanzl;  Fritz Kothner – Karl Paul; Walther von Stolzing – Bernd Aldenhoff;  David – Gerhard Unger; Eva – Tiana Lemnitz.  - Chor der Staatsoper Dresden. - Staatskapelle Dresden. - Rudolf Kempe 
rec. 29. April 1951, Dresden
PROFIL PH13006 [4 CDs: 79,51 + 61,59 + 65,54 + 53,21]

Dresden hat zweifellos eine lange Inszenierungstradition der „Meistersinger von Nürnberg“, mit weit über 500 Aufführungen seit der Dresdner Uraufführung 1869. Diese fast 4½ Stunden lange Aufnahme von 1951 wurde unter Verwendung der Original-Masterbänder produziert, genauer gesagt 19 Magnetbandspulen, die in einem Lager des Forschungszentrums des Berliner Rundfunks entdeckt wurden, wo sie seit den späten 1950er Jahren gelagert waren. Hier ist nun beim Remastering das Kunststück gelungen, die originalen Bänder klanglich maximal auszuloten und somit diese immerhin schon 74 Jahre alte Aufnahme in neuem Klanggewand zu präsentieren. Das Ergebnis: Es gibt keine andere Aufnahme, in der man so viel vom Text versteht, wie in dieser.  

Ferdinand Frantz stiehlt auf dieser Aufnahme mit seiner Darstellung des Schuster Hans Sachs verdientermaßen allen die Show. Er macht keinen Fehler. In Sachs’ Flieder-Monolog im 2. Akt und Wahn-Monolog im 3. Akt kommt Frantz’ runder Ton sehr wirkungsvoll zur Geltung, verankert durch sein kräftiges und festes, tiefes Register. Besonders gelungen sind auch das Schusterlied im 2. Akt und Verachtet mir die Meister nicht im 3. Akt zum Lob der heiligen deutschen Kunst. 

In ihrer Blütezeit war Tiana Lemnitz’ Darstellung der Eva eine ihrer Paraderollen. In dieser Aufnahme, in der sie Mitte fünfzig gewesen sein muss, singt selbstbewusst eine reife Eva, wobei ihre strahlende, fließende Stimme immer noch die hohen Töne mühelos erreicht. 

In der Rolle des Walther von Stolzing übernimmt der Duisburger Heldentenor Bernd Aldenhoff den jungen Ritter aus Franken. Aldenhoff, der als gelassener und sensibler Wagnerianer bekannt ist, war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme Mitglied der Staatsoper Dresden. Später in der Saison spielte er seinen ersten Siegfried bei den Bayreuther Festspielen. Walthers anspruchsvolles Preislied aus dem 3. Akt, ein Liebeslied an Eva, wird von Aldenhoff eindrucksvoll dargeboten. Seine Stimme ist nicht zu hell, mit wunderbar klarer Diktion, hat eine starke Zugkraft und kann bis fast auf eine baritonale Ebene hinunterreichen. 

Gerhard Unger war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme etwa 35 Jahre alt und seine Stimme passt problemlos zu Sachs' jungem Lehrling David, einer seiner Paraderollen. Kurt Böhme singt die Rolle des Goldschmieds Veit Pogner. Seine Stimme klingt reif, ist einigermaßen fest und behält hier durchgehend ihren dunklen Ton bei. 

Mit dem durchweg attraktiven Spiel der Staatskapelle gelingt es Rudolf Kempe, die breite Dynamik mit der Melodielinie auszubalancieren. Diese vorliegende epische Dresdner Aufführung von Kempe gehört zu den besten, die ich je gehört habe. Wir hören eine enorm ausgewogene Besetzung, die mit einer Spontanität singt, die man bei Studioaufnahmen nur selten findet.
 
Kurz gesagt, dies sind Meistersinger, die man unbedingt gehört haben sollte.


Donnerstag, 16. Januar 2025

Wıe man zum Wagnerianer wird

Dieses Buch eignet sich perfekt für alle, die im Pausengespräch glänzen wollen. In zehn Lektionen führen die Autoren Anfänger und Fortgeschrittene mit kleinen Anekdoten, unterhaltsamen und informativen Geschichten rund um Richard Wagner in dessen Imperium und Werk ein. Und es räumt so nebenbei mit einigen Mythen auf. Denn hier wird enthüllt: Ludwig ll. hatte gar kein Schwanenboot! Ätsch. Seine Liebe für Schwäne hatte er lange vor der Oper „Lohengrin“ entdeckt, und rüber nach Herrenchiemsee fuhr er - ganz unspektakulär - mit einem modernen Dampfschiff. Ansonsten geht's um Wagner und das liebe Geld, Wagner und die Psychoanalyse, Wagner und die Frauen und um die Wagnersche Nachlassverwaltung durch Ehefrau Cosima. Das Beste: Das Buch eignet sich auch hervorragend für diejenigen, die mit Wagner so gar nichts anfangen können, denn hier wird endlich einmal erklärt, warum „da capo“ bei Wagner einfach so gar keinen Sinn macht. Deswegen: Kaufen Sie dieses Buch. Und dann: lesen, lachen, lieben.

Wie ich zum Wagnerianer wurde können Sie >> HIER erfahren.

Samstag, 19. Oktober 2024

Von der Faszination historischer Aufnahmen (6) - Tristan und Isolde mit Lauritz Melchior und Kirsten Flagstad unter Fritz Reiner (1936)

Tristan - Lauritz Melchior; Isolde - Kirsten Flagstad; Brangäne - Sabine Kalter; Marke - Emanuel List; Kurwenal - Herbert Janssen; 
Covent Garden Opera Chorus; London Philharmonic Orchestra
Fritz Reiner (Dirigent)
Naxos Historical 8.110068-70 

Kirsten Flagstad und Lauritz Melchoir sind archetypische Wagner-Interpreten, die nicht nur das nötige Gewicht zeigen, um über ein großes Orchester hinweg zu singen, sondern auch über reichlich Leidenschaft, Verständnis und körperliche Ausdauer verfügen. 

Diese berühmte Aufführung, die 1936 live in Covent Garden aufgenommen wurde, ist ein mitreißendes Denkmal ihrer Kunstfertigkeit. Der gegenwärtige Mangel an Wagner-Sängern hat Tristan und Isolde zu einer Dirigentenoper gemacht, aber trotz der aufregenden und anspruchsvollen Leitung von Fritz Reiner stehen Flagstad und Melchoir hier im Mittelpunkt. Man wird von der Schönheit ihres Klangs ebenso mitgerissen wie von ihren ekstatischen Ausdrucksformen der Lust. Selten war das Liebesduett im zweiten Akt so berauschend. 

Es ist bemerkenswert, wie viele Details durchkommen, wenn man das Alter der Aufnahme bedenkt. Naxos hat den Wagner-Fans einen unermesslichen Dienst erwiesen, indem es diese klassische Aufführung erneut veröffentlicht hat. Es ist ein unbezahlbares Dokument aus einer besonders glanzvollen Ära der Wagner-Interpretation.

Dienstag, 8. Oktober 2024

Der Geheimtipp: Fantastischer Tristan aus Australien

Stuart Skelton (Tenor) – Tristan: Gun-Brit Barkmin (Sopran) – Isolde: Ekaterina Gubanova (Mezzosopran) – Brangäne: Boaz Daniel (Bariton) – Kurwenal: Ain Anger (Bass) – König Marke: Angus Wood (Tenor) – Melot: Paul O'Neill (Tenor) – Junger Seemann, Hirte: Andrew Foote (Bariton) – Steuermann: WASO Chor: St. George's Cathedral Ensemble: West Australian Symphony Orchestra: Asher Fisch (Dirigent)
Perth Concert Hall, Australien, 16. und 19. August 2018 
ABC CLASSICS ABC 481 8518 [3 CDs, 77,24 + 73,33 + 71,04] 

Diese Aufnahme – live im Konzert im August 2018 aufgenommen – bietet eine bemerkenswerte Besetzung von Sängern, darunter Stuart Skelton, einer der größten Wagner-Sänger unserer Zeit, der als Tristan seine lang erwartete Debütaufnahme gibt. Skelton hat den Tristan, eine seiner Paraderollen, mit großem Erfolg auf der ganzen Welt gesungen, von der Metropolitan Opera in New York über die English National Opera bis hin zu den deutschen Festspielen in Baden-Baden und an meinem Stammopernhaus, der Bayerischen Staatsoper in München. Er wurde als „ein Tristan für die Ewigkeit“ gefeiert , seine Interpretation sei „ein unermüdlicher, glorreicher Leuchtturm des Wagner-Gesangs, mit unerschöpflicher Kraft, lebendiger Resonanz gepaart mit Wärme, Subtilität und Anmut sowie engagiertem dramatischen Ausdruck“. 

Isolde wird von der deutschen Sopranistin Gun-Brit Barkmin gesungen, die im Laufe ihrer schillernden Karriere für ihre Interpretation von Hauptrollen in Werken von Janáček, Britten, Berg, Wagner und Richard Strauss gefeiert wurde. Ihre Isolde wurde als „aufregend“ gefeiert, als „außerordentlich vollständige Darstellung“, die „eine Offenbarung“ sei. 

Auf dieser Aufnahme werden sie von einer Starbesetzung begleitet, zu der unter anderem Ekaterina Gubanova, Boaz Daniel und Ain Anger gehören, sowie vom West Australian Symphony Orchestra unter der Leitung ihres Chefdirigenten Asher Fisch, einem der bedeutendsten Wagner-Interpreten der Gegenwart. 

Tristan und Isolde veränderte für immer die Regeln darüber, was Musik sein sollte und konnte, und führte Konzepte ein – darunter Chromatik, Dissonanz und sogar Atonalität –, die die Entwicklung der Musik im 20. Jahrhundert bestimmen sollten. 

Vor allem aber ist es ein Werk von atemberaubender Schönheit, von unerfüllter Liebe, in dem Sänger und Orchester in einer der erhabensten Musiken zusammenkommen, die je geschrieben wurde. „Leben und Tod, die ganze Bedeutung und Existenz der Außenwelt“, schrieb Wagner selbst, „hängen hier von nichts anderem ab, als von den inneren Regungen der Seele.“

Dieses ganze Set ist weit mehr als nur ein Andenken an ein Live-Konzert; es ist ein sehr ernsthafter Anwärter darauf, eine der großartigsten Aufnahmen von Tristan und Isolde auf CD zu sein.





Freitag, 19. April 2024

Wagner für Fortgeschrittene: Tristan und Isolde (Eugen Jochum, Bayreuth 1953)

Diese Aufnahme von Tristan und Isolde ist besonders wertvoll, da es sich um die einzige verfügbare Bayreuther Aufnahme mit der Isolde der großen Astrid Varnay handelt. Die Aufführung wird von einem der kompetentesten, wenn nicht sogar leidenschaftlichsten Dirigenten des deutschen Repertoires geleitet: Eugen Jochum. Jochum ist in seinem Dirigierstil keineswegs trocken, und dieser Tristan strahlt mehr Wärme und Engagement aus als viele andere, aber wir sprechen hier nicht von einer Aufführung auf dem gleichen Niveau wie die berühmte Aufnahme von Windgassen/Nilsson/Böhm, die viele als die beste verfügbare Version dieser Oper betrachten. Die Schlüsselwörter dieser Bayreuther Aufnahme von 1953 sind von Anfang an Konzentration, Genauigkeit und Engagement, wodurch das Drama sehr überzeugend in Bewegung bleibt. 

Astrid Varnays Isolde ist intelligent und stolz, und wo es darauf ankommt, leidenschaftlich. Sie spielt die Rolle mit ebenso viel Entschlossenheit und Klarheit wie ihre Brünnhilde und verleiht dem Text Schattierungen, die man selten findet. Ihr „Wie lachend sie mir Lieder singen“ zum Beispiel ist nicht so übertrieben wie die Darstellungen vieler anderer Sängerinnen, aber am Ende hat man das Gefühl, dass es sich hier um eine Frau von selbstbewusster Majestät handelt. Varnays Stimme hatte ein enormes Volumen und ein schweres, dunkles Timbre; sie zeigt auch große stimmliche Fähigkeiten mit unglaublicher Musikalität. Ihre Beteiligung an der gesamten Nachtszene, die mit dem großen Liebesduett im zweiten Akt endet, ist sowohl musikalisch als auch dramaturgisch außerordentlich. Ihr „Liebestod“ muss als eines der schönsten jemals aufgenommenen Werke angesehen werden. Es steht auf Augenhöhe mit jeder ihrer großartigen Aufnahmen, und obwohl sie in der Rolle der Brünnhilde absolut ideal war – eine Leistung, die in keiner anderen großartigen Rolle zu erreichen wäre –, verfügt Varnays Isolde über viel mehr Können und echtes Gefühl als fast jeder andere Sängerin in dieser Rolle. Der Liebestod ist dafür ein ebenso gutes Beispiel wie jeder andere Teil der vorliegenden Aufnahme. Wenn es zunächst zum Unsubtilen tendiert, hebt es den Zuhörer schließlich langsam und überraschend auf eine Höhe, die man nur von den größten Wagner-Interpreten erwarten kann. 

Der beliebte und wenig bekannte Ramón Vinay singt den Tristan, und er ist eine gute Wahl für die Rolle. Vinays Tenor zeichnet sich durch ein baritonales, robustes und durchdringendes Timbre aus. Seine Herangehensweise an die Rolle ist vollblütig und kriegerisch, ohne dabei aufdringlich zu wirken. Ob er mit der glühenden Entschlossenheit und Interpretationstiefe von Astrid Varnay mithalten kann, ist schwer zu sagen. Er macht in vielerlei Hinsicht viel aus dem Text und überzeugt uns in den meisten Fällen von seinem Charakter. Seine letzten Worte sind ein rührender, aber gut kontrollierter Ausdruck gestörter Liebe. 

Gustav Neidlinger singt den Kurwenal. Sein Ansatz ist geradlinig und an den richtigen Stellen berührend. Er bringt einen hervorragenden prägnanten Ton mit, der in aufgezeichneten Darstellungen dieser wichtigen Figur so oft fehlt. Die Rolle der Brangäne wird gekonnt vom großen Bayreuther Mezzosopran Ira Malaniuk gesungen, König Marke von Ludwig Weber. Obwohl diese Aufnahme in Mono ist, ist die Klangqualität extrem gut und ausgewogen, vor allem für eine Live-Aufnahme. Dies ist eine Gelegenheit, um fantastische Künstler in der Blütezeit ihrer Karriere zu hören.

Montag, 29. Januar 2024

Von der Faszination historischer Aufnahmen (3) - Lohengrin 1943 an der MET


Richard Wagner
Lohengrin
Astrid VarnayKerstin ThorborgLauritz MelchiorAlexander SvedNorman CordonMetropolitan Opera OrchestraErich Leinsdorf

Naxos 8.110235-37
(200 Min., 1/1943) 3 CDs

Es rauscht. Ein bisschen nur. Gerade soviel, um uns in die alte Met zu versetzen, in diesen gewaltigen, dunkelgoldenen Prunkraum aus besseren Opernzeiten, der 1966 den Abrissbirnen zum Opfer fiel. Wir schreiben das Jahr 1943, auf der anderen Seite des Atlantiks tobt der Krieg, und in New York spielt man "Lohengrin". Astrid Varnay ist gerade 24 Jahre alt und singt die Elsa mit einer so dramatischen, reichen, vollen Stimme, dass die Figur wie eine Schwester Brünnhildes klingt. Die Titelpartie in der "Walküre" hatte sie bereits mit 22 an der Met verkörpert. Kerstin Thorborg fürchtet die Varnay'sche Klangwucht nicht und setzt ihr als Ortrud abgründige Dämonie entgegen. Nach "Entweihte Götter!" gibt es kein Halten mehr, und das Publikum bricht in wilde Ovationen, mitten in die Musik hinein, so geht das an der Met, auch heute noch. Lauritz Melchior ist der Schwanenritter vom Dienst, in diesen Jahren gehörte er an der Met gleichsam zur Grundausstattung von Wagner-Aufführungen. Einen besseren Heldentenor gibt es zu dieser Zeit wirklich nicht. Alexander Sved singt den Telramund, anstatt ihn wie viele andere Baritone verzweifelt zu brüllen. Erich Leinsdorf dirigiert in bester Kapellmeistertradition. Und hier und da mit einem Silberschimmer. Met-Alltag 1943. Schöne Zeiten für die Oper.

Mittwoch, 5. Juli 2023

Nietzsche in Bayreuth


"Irgendwann sitzen wir alle in Bayreuth zusammen und begreifen gar nicht mehr, 
wie man es anderswo aushalten konnte."

 (Friedrich Nietzsche)



Montag, 19. Dezember 2022

„Sprechen wir über Mord!?“ mit Angela Merkel über Wagners "Ring des Nibelungen"

Erstmals ist die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel Gesprächsgast in einem Podcast-Format.

Gemeinsam mit dem ehemaligen Bundesrichter Thomas Fischer und Moderator Holger Schmidt diskutiert sie im SWR2 True-Crime-Podcast „Sprechen wir über Mord!?“ über strafrechtliche Zusammenhänge und Motive in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“. 

Zentrale Begriffe sind dabei Habgier, Rache und Eitelkeit. Ganz wie im echten Leben ... und in der Politik! 

Montag, 15. August 2022

Die Festspielwurst

Um sich selbst ein Bild zu machen besuchte der Komponist Igor Strawinsky 1912 die Bayreuther Festspiele. Über die Pausen berichtet er folgendes: „Dann sind wieder die Würstchen an der Reihe, wieder ein Bier, wieder die Fanfare, wieder die Andacht, wieder ein Akt – der letzte. Fertig!“ An diesem Ritual hat sich bis heute nichts geändert!

Dienstag, 5. Mai 2020

ERINNERUNGEN AN DAS ERSTE MAL

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Eigentlich wollte ich - wie wahrscheinlich jedes normale deutsche Kind - immer schon "Heldentenor" werden. Vor allem die beiden singenden "Super-Ritter" Lohengrin und Tristan hatten es mir schon als 15-jährigen ganz besonders angetan. Und zum Entsetzen meiner Eltern gab es deshalb ab diesem Zeitpunkt - eigentlich täglich - in IHREM Wohnzimmer stundenlange Opernaufführungen.



Parsifal im Kampf mit dem roten Ritter (Schloss Neuschwanstein)
So ziemlich jedes Kind - wie hier der junge Parsifal - möchte natürlich einmal ein "Heldentenor-Ritter" werden. -
Das ist vollkommen normal!

Auch der ganze "Ring" stand da, über die ganze Woche verteilt, auf dem Programm. - Auf jeden Fall muss es für meine Eltern (meinen Bruder und unsere Dackel) dann irgendwann doch zu viel gewesen sein: Sie sind dann ausgezogen und haben sich ein zweites Wohnzimmer eingerichtet.
MEIN Wohnzimmer konnte damit endgültig zu einem zweiten Bayreuth eingeweiht werden. - Natürlich mit dem passenden Bühnen(ritter)weihfestspiel: dem Parsifal. Da mir eine übliche "Privatvorstellung" für diesen Anlaß nicht angemessen erschien, die ganze Familie - samt Dackel - sollte ja an diesem Ereignis teilhaben dürfen, ließ ich mir deshalb zu Weihnachten von meinem Patenonkel meinen ersten Parsifal (die legendäre Bayreuther Kna. - Aufnahme von 1962) schenken. Da sich der am Hl. Abend geschmückte Christbaum und der große Speisetisch für das von meinem Großvater jedes Jahr gestiftete Weihnachtsfestkaninchen nunmal in MEINEM Wohnzimmer befanden, brauchte ich jetzt nur noch die alljährlichen Worte meines Vaters "leg´ doch jetzt bitte eine schöne Platte auf" abzuwarten. Darauf war ich vorbereitet (die erste der fünf LPs lag natürlich schon längst auf Plattenteller): "Ich leg´ jetzt das Weihnachtgeschenk von Onkel Josef auf", war die wohlüberlegte Antwort. Und zum ersten Mal erklang das Vorspiel zum Parsifal (zwar etwas zweckentfremdet) als weihnachtliche Tafelmusik in MEINEM Bayreuth. - Und alle, wirklich alle (2 Omas, 1 Opa, Mama, Papa, der kleine Bruder, der Patenonkel und natürlich der etwas neurotische Dackel, der wahrscheinlich auf abfallende Knochen wartete) mussten nun zuhören! Niemand konnte - wie üblich - weglaufen oder einen "Plattenwechsel" erbitten, wäre das doch gegenüber meinen Patenonkel wirklich unhöflich gewesen: Mein erster Parsifal (zumindest die erste von fünf LPs) im weihnachtlichen Kreise der ganzen Familie. - Mein schönstes Weihnachten. - Kindheitserinnerungen. -

Aus der geplanten "Ritter-Heldentenor-Karriere" ist dann später irgendwie nichts mehr geworden, - wie eben bei den meisten anderen Kindern auch. - Zuviele Ritter und Heldentenöre wären ja auch gar nicht gut. - Aber dennoch hat besonders der Parsifal, sogar meine theologische Diplomarbeit habe ich später irgendwann über dieses religiös anmutende "Bühnenweihfestspiel" geschrieben, mich immer wieder begleitet und bereichert.
Mittlerweile - d.h. 120 Jahre nach der Bayreuther Uraufführung - gibt es natürlich unendlich viel (mehr oder weniger gescheite) Literatur über Wagners letztes Werk. - Aber den wirklich allerersten Kommentar, den seines Schülers Hans von Wolzogen (1848 -1938), den möchte ich Ihnen (d.h. der interessierten Menschheit) nun an dieser Stelle - als Download - zur weiteren Auseinandersetzung mit diesem Werk erstmals wieder im Internet zur Verfügung stellen. Selbst in wirklich großen öffentlichen Bibliotheken ist dieser erste "Leitmotiv"-Kommentar oft nur äußerst mühsam (meistens aber überhaupt nicht) zu bekommen. - "Gott sei Dank" gibt es da aber noch die guten, alten Klosterbibliotheken. Und wenn dann auch noch der Klosterbibliothekar ein leidenschaftlicher Wagnerianer (und Webmaster) ist und Sie vor allem auch noch die richtigen Suchworte in Ihre Suchmaschine eingegeben haben (denn höchstwahrscheinlich werden Sie so diese Seite gefunden haben), dann: "Heil, dir Sonne! Heil, dir Licht!"- Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre beim Studium dieses "Ur-Leitmotiv-Führers". Und falls Sie - ganz zufällig - noch eine Karte für den "grünen Hügel" übrig haben sollten? - Sie dürfen sich jederzeit bei mir ((siegfried@ottilien.de) melden! PAX ET BONUM!
Ihr Pater Siegfried


LEITFÄDEN DURCH DIE MUSIK


Wolzogen, Hans ¬von¬:
Thematischer Leitfaden durch die Musik des Parsifal, nebst einem Vorworte über den Sagenstoff des Wagner'schen Dramas. - 2. Aufl. - Leipzig : Senf, 1882. - 92 S. : mit Notenbeispielen

DOWNLOAD - Click here!
Zum Downloaden (pdf) klicken Sie bitte auf das "Parsifal-Motiv"



Wolzogen, Hans ¬von¬:
Thematischer Leitfaden durch die Musik zu Richard Wagners´s Tristan und Isolde, nebst einem Vorworte über den Sagenstoff des Wagner'schen Dramas. - 3. unveränd. Aufl. - Leipzig : Reinboth, 1888. - 47 S. : mit Notenbeispielen
DOWNLOAD - Click here!
Zum Downloaden (pdf) klicken Sie bitte auf das "Tristan-Motiv"

Sonntag, 3. Mai 2020

Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal und die Idee der Kunstreligion








Wewers, Siegfried (Stefan): Richard Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal und die Idee der Kunstreligion / Siegfried (Stefan) Wewers. Diplomarbeit im Fach Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Münster. Prof. Dr. Arnold Angenendt [Gutachter]. - Münster, 1994. - 192 S.
zugl.: Münster, Univ./Kath.-Theol. Fakultät., Dipl.-Arb., 1994

DOWNLOAD hier:

>> https://drive.google.com/file/d/0B7_d23E9EK0MZFRuQ2tVdlo5T0U/view?usp=sharing&resourcekey=0-TbqYBjEw692g_onDa5QTzw

VORWORT:

Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal stellt den Versuch dar, auf dem Höhepunkt, der durch fortschreitende Säkularisierung gekennzeichneten europäischen Neuzeit eine religiöse Wiedergeburt mit Mitteln der Kunst herbeizuführen. “Man könnte sagen“, schrieb Wagner 1880 in der Abhandlung Religion und Kunst, seinem philosophischen Kommentar zu Parsifal, “dass da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen". Somit ist Parsifal also unleugbar ein Dokument der »Kunstreligion« des 19. Jahrhunderts und seiner Absicht entsprechend, dass Religion - oder deren Wahrheit - aus der Form des Mythos in die Kunst übergegangen sei, übernahm Wagner aus den mittelalterlichen Vorbildern seines Dramas, dem Perceval ou Le conte du Graal von Chrestien de Troyes, dem Parzival Wolfram von Eschenbachs und dem Roman de l'estoire del Graal von Robert de Boron, den religiösen Gehalt nahezu vollständig.

Parsifal gehört zwar zweifellos zur Gattung des Wagnerschen Musikdramas, hat aber zugleich Züge der kultisch-rituellen Handlung, des Mysterienspiels und des Oratoriums angenommen. In Wagners Parsifal sind verschiedene religiösen Strömungen, die in der Geschichte anzutreffen sind zur Synthese gelangt. Dem in den Werken Chretiens und Wolframs gespiegelten, dem sich außerhalb der kirchlichen Herrschaftsorganisationen entfaltenden (esoterischen) Christentum hat Wagner, der »Mittler des Mittelalter«, Schopenhauerisches Gedankengut, das Erlösungsdenken und die Mitleidsethik Buddhas und seine eigene "Regenerationslehre" hinzugefügt.

Somit stellt sich letztlich die Frage: Ist Wagners Parsifal dennoch ein christliches Werk? Diese Frage, hervorgerufen durch die christlich-sakrale Symbolik, auf die man in jenem Bühnenweihfestspiel immer wieder stößt, die die Interpretationsgeschichte des Werkes zu verschiedensten Ergebnissen ("Roms Glaube" [F. Nietzsche]; "hochreligiöses Weihespiel" [Th. Mann]; "das Ergebnis einer Privat-Theologie Richard Wagners...als ein Geflecht aus altpersischen, altindischen, christlichen Mysterien" [H. Mayer; ähnlich E. Bloch]) geführt hat, soll abschließend und gleichzeitig die Thematik zusammenfassend behandelt werden.