Dienstag, 25. Februar 2025

Buchtipp: "Unter Heiden - Warum ich trotzdem Christ bleibe" von Tobias Haberl

TOBIAS HABERL: 
UNTER HEIDEN 
WARUM ICH TROTZDEM CHRIST BLEIBE - 
WAS KANN DAS 21. JAHRHUNDERT EIGENTLICH VON GLÄUBIGEN MENSCHEN LERNEN? 

Über sein Buch schreibt der Autor folgendes: Ich bin katholisch. In meiner Kindheit war das eine Selbstverständlichkeit. Heute muss ich mich dafür rechtfertigen, ja manchmal komme ich mir vor wie ein Tier, das im Zoo angegafft wird: Wie kann man im 21. Jahrhundert an Gott glauben? Und wie kann man immer noch in der Kirche sein – nach allem, was ans Licht gekommen ist? Es ist tatsächlich so, dass ich in meinem Viertel (gentrifiziert), meiner Branche (Medien) und meinem Job (linksliberale Zeitung) von Menschen umringt bin, die, wenn es um den Glauben geht, oft nur noch an Missbrauch und Vertuschung denken. 

Leider haben viele von ihnen keine Ahnung davon, was das bedeutet: Christ sein. Sie kritisieren etwas, das sie nie kennen gelernt haben, und vergessen, worauf es ankommt: den Halt, den Trost, die Hoffnung. Glaube ist mehr als Schlagwörter (Zölibat, Missbrauch, Frauenpriestertum), mehr als eine Kirche, mit der ich auch hadere, auch mehr als eine Auszeit vom stressigen Alltag. Gläubige Menschen suchen keine Befriedigung, sondern Erlösung, nicht zuletzt von einer Welt, die aus den Fugen geraten scheint, zerrissen zwischen Zukunftsängsten und (gespenstischen) technologischen Visionen. 

Ständig wird gefordert, dass sich die Kirche verändern muss, um im 21. Jahrhundert anzukommen. Ich drehe die Frage um: Was kann das 21. Jahrhundert eigentlich von gläubigen Menschen lernen? Welche vermeintlich aus der Zeit gefallenen Rituale können die spätmoderne Gesellschaft von ihrer Atemlosigkeit erlösen? Denn eines ist offensichtlich: Der Mensch, der sich von Gott verabschiedet hat, findet nicht, was er sucht. Die große Freiheit stellt sich nicht ein. Stattdessen: neue Zwänge, neue Ängste, Ablenkung statt Trost, weil Google jede Frage beantworten kann, nur nicht die, wozu wir leben und was uns Halt gibt. Im Moment sind viele verunsichert, suchen Orientierung, etwas, woran sie sich festhalten können, aber: da ist nichts. 

Ich bin ein mittelmäßiger Christ, ganz sicher sind viele, die nicht an Gott glauben, bessere Menschen als ich. Aber ich versuche jeden Tag mit großer Ernsthaftigkeit, Gott zu gefallen – es gelingt halt nicht immer. Und deshalb erzählt dieses Buch davon, wie der Glaube mein Leben nicht nur verschönert, sondern vertieft, wie ich ein „zeitgemäßes Leben“ mit einem vermeintlich „unzeitgemäßen Glauben“ verbinde, weil Freiheit eine grandiose Sache ist, man aber schon eine Idee haben sollte, was man mit ihr anstellen will. Ich glaube, dass der moderne Mensch darunter leidet, dass er seinen Glauben verloren hat, ohne dass er es merkt. Ich glaube, dass sein Glück in falschen Dingen und an falschen Orten sucht. Ich glaube, dass er Sehnsucht nach etwas hat, das er sich nicht erklären kann. Was das sein könnte, steht in diesem Buch.

"Die Tagespost" über "Unter Heiden": 
"Tobias Haberl, Bestseller-Autor und Redakteur beim „Süddeutsche Zeitung Magazin“ hat ein neues Buch geschrieben. In „Unter Heiden – Warum ich trotzdem Christ bleibe“ – erzählt Haberl, wie es ist, als Katholik in einem Umfeld zu arbeiten und zu leben, in dem Gott keine Rolle mehr spielt. Das meisterhaft geschriebene Buch, das schon rein sprachlich betrachtet, einen Leckerbissen für literarische Feinschmecker darstellen dürfte, basiert auf einem gleichnamigen Essay, für den Haberl im vergangenen Jahr mit dem „Reporterpreis“ ausgezeichnet wurde."

Freitag, 21. Februar 2025

Gutes kann so preiswert sein: Der "5 Euro Lohengrin" mit Rudolf Schock unter Wilhelm Schüchter (1953)

In meiner CD-Sammlung befinden sich 18 Lohengrin-Aufnahmen. Und ich muss feststellen, dass die preiswerteste zu den allerbesten gehört. Wilhelm Schüchter dirigierte sie 1953 in Hamburg. 

Sein straffes, theatralisches Dirigat schafft es, die komplexe Partitur ständig in Bewegung zu halten, ohne unnötig zu verweilen, aber auch ohne seine Besetzung übermäßig zu drängen. Schüchter und das NDR-Sinfonieorchester zeigen in vorbildlicher Weise, dass große Oper auch ein echter Krimi sein kann. Kein musikalischer Effekt wird ausgelassen: Fabelhaft, wunderbar! 

Und die Sänger erfüllen durchgehend alle an sie gestellten hohen Anforderungen mit Bravur. Schock singt mit einem Heldentenor der alten Schule eine leidenschaftliche, lyrische und doch paradoxerweise heroische Interpretation der Titelrolle, die keine Wünsche offen lässt und in einer spontanen Erzählung und einem von Herzen kommenden Abschied gipfelt. Rudolf Schocks goldener, attraktiver Tenor, der dem von Franz Völker, dem führenden Lohengrin der 1930er Jahre so ähnlich ist, bietet wahre Verzückung, ist jedoch im Vergleich einen Hauch extrovertierter. 

Kloses Ortrud ist einfach in jeder Hinsicht großartig. Sie bildet einen schönen Kontrast zwischen ihrem lächelnden, falsch loyalen Ton, als sie Elsa unterwürfig anspricht, und ihren furchterregenden Verwünschungen, als sie ihr wenige Takte später vor der Kathedrale gegenübersteht. Gleichzeitig macht sie ihrem Gatten Telramund durch ihre stark artikulierte Ermutigung wieder neuen Mut. Dies ist eine Interpretation, die einem Vergleich mit den allerbesten Ortruds auf CD standhält, etwa Varnay und Ludwig. Ihr passender Partner ist Metternichs schneidend gesungener Telramund, ein Bariton, der seine Argumente ohne Gebell oder Sprechgesang vertritt. Nur Uhde in der Bayreuth/Teldec-Version von 1953 unter Keilberth ist Metternich ebenbürtig. 

Cunitz hat als mädchenhafte Elsa (gemeinsam mit Schock) wunderbare Momente. Sie versteht ihre Rolle und singt viele relevante Phrasen, nicht zuletzt in ihren Soli, sehr beherzt. 

Frick ist als König Heinrich ein Fels in der Brandung, besser als jeder andere in dieser Rolle. Er singt mit seinem festen, dunklen Bass und mit viel Autorität, gemildert durch tiefes Gefühl. Frick ist, wie praktisch alle Sänger in dieser Aufnahme, von der Sprache der Musik durchdrungen und vermittelt dem Text echte Bedeutung. Das gilt in gleichem Maße für Josef Metternich, einen zutiefst bösen Telramund, der Uhde an lebendiger Aussprache in nichts nachsteht. 
 
Die großartigen norddeutschen Chor-Truppen singen mit voller Überzeugung. Der sehr gute Mono-Sound stellt die Solisten in den Vordergrund, wo sie auch sein sollten. 

Dieser "Lohengrin" gehört zu den besten Aufnahmen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und kann durchaus konkurrieren mit denjenigen aller anderer großer Dirigenten jener Zeit. 

Schön ist letztendlich auch, dass jeder der drei Akte auf jeweils eine CD passt.

Fazit: Die beste 5 Euro-Investition, die ich je gemacht habe. - Sie werden es nicht bereuen, es mir nachzutun!

 

Donnerstag, 20. Februar 2025

Hundetaufe

Ein Mann kommt zum Pfarrer und möchte seinen Hund taufen lassen.
Pfarrer: "Das ist unmöglich!"
Mann: "Der Hund ist wie ein Familienmitglied, und ich lege auch 10.000 Euro in den Klingelbeutel."
Pfarrer: "Na gut, aber nur wenn sie es für sich behalten."
Der Hund wird getauft, aber der Mann muss es natürlich jedem erzählen - so erfährt es auch der Bischof.
Der lässt den Pfarrer kommen: "Ja, sind Sie denn wahnsinnig, einen Hund zu taufen?"
Pfarrer: "Der Mann hat 10.000 Euro in den Klingelbeutel getan."
Sagt der Bischof: "Ist der Hund schon gefirmt?"

Mittwoch, 19. Februar 2025

Aktuelle Tischlesung im Kloster - Papst Franziskus: Hoffe! - Die Autobiografie

Jorge Mario Bergoglio ist kein gewöhnlicher Papst: Er ist der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri, der erste Lateinamerikaner, der erste Franziskus, der Erste, der umfassende Reformen im Vatikan verfolgt. Und er ist der erste Papst in der Geschichte, der eine Autobiografie zu seinen Lebzeiten vorlegt. Eigentlich hätte dieses außerordentliche Lebenszeugnis erst nach seinem Tod veröffentlicht werden sollen, aber Papst Franziskus hat sich angesichts der Erfordernisse unserer Zeit und aufgrund des Heiligen Jahres 2025 dazu entschlossen, den Einblick in sein Leben schon jetzt zugänglich zu machen. Denn seine Biografie, seine Erlebnisse spiegeln in unvergleichlicher Weise sein Vermächtnis wider, das er uns allen, dir und mir, und trotz aller Widrigkeiten zuruft: Hoffe! 

Das Buch erzählt chronologisch und in Franziskus´ persönlichem Stil seine gesamte Lebensgeschichte, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen italienischen Wurzeln beginnt. Es erzählt von der abenteuerlichen Geschichte der Auswanderung seiner Vorfahren nach Lateinamerika, seiner Kindheit dort und den Turbulenzen seiner Jugendjahre. Es berichtet von seiner Berufung und seiner Reifezeit ebenso wie von seinem Pontifikat und der Gegenwart. 

Mit großer erzählerischer Kraft holt Papst Franziskus aus und lässt uns teilhaben an seinen intimsten Erinnerungen (und seinen Leidenschaften). Und er geht schonungslos die zentralen Anliegen seines Pontifikats an und wendet sich mutig, nüchtern und prophetisch den wichtigsten Themen unserer Zeit zu: Krieg und Frieden (die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten), Migration, Umweltschutz, Sozialpolitik, die Stellung der Frau, Sexualität, der technische Fortschritt sowie die Zukunft der Kirche und der Religionen. 

Mit vielen Enthüllungen, Anekdoten und aufschlussreichen Überlegungen präsentiert sich diese Autobiografie emotional und gleichzeitig zutiefst menschlich, anrührend und humorvoll. Hier tritt uns einerseits der „Roman eines Lebens“ entgegen und andererseits das moralische und spirituelle Testament seines Verfassers, das Leserinnen und Leser in aller Welt faszinieren wird, weil es das Vermächtnis der Hoffnung für künftige Generationen ist.

Buchtipp - Alex Ross: Die Welt nach Wagner - Ein deutscher Künstler und sein Einfluss auf die Moderne

Ein Standardwerk über den großen Komponisten - von einem der angesehensten Musikkritiker der USA. Beginnend mit dem Tod Wagners erzählt Alex Ross, was für uns zur Gegenwart geworden ist: Wir leben und sehen die Welt seit Wagner mit seinen Augen, seine Themen und Szenen prägen auch heute noch unser gesellschaftliches Bühnenbild. Wagner ist für Ross ein deutsches Drama, das sich aus der Wirklichkeit, aber auch aus dem Wahn speist. Sein Buch ist eine eindrucksvolle Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, durchzogen von dem Erbe Richard Wagners - der widersprüchlich war, ungreifbar, vielleicht sogar unvollendet. Nur so ist auch seine Musik und sein Nachleben in Deutschland zu verstehen: Wir sind noch immer Wagner. 

Die „Schatten“, die ex post auf Wagner und sein Werk projiziert wurden, möchte Ross weder kleinreden noch wegdiskutieren. Er stellt ihnen jedoch in einer monumentalen Studie die Glanzlichter einer seit bald zwei Jahrhunderten ununterbrochen brodelnden Auseinandersetzung mit (und um) Wagner entgegen. In seiner Breite und Vielfalt, aber ebenso in seiner Widersprüchlichkeit hat dieser Diskurs wenige Entsprechungen in der Kulturgeschichte. Auf annähernd tausend eng bedruckten Seiten summiert sich seine in zwölf Jahren zusammengetragene Enzyklopädie der Wagner-Lesarten. Keine einzige davon möchte man missen. Es bleibt ein klares Bild mit Hunderten feingezeichneter Details und Facetten. In einer Zeit, die ein fatales Bedürfnis nach einfachen Antworten wiederentdeckt, ist dieses Buch das eindringlichste Plädoyer gegen jegliche Schwarz-Weiss-Malerei, gerade bei diesem Jahrhundertkomponisten. 

(Christian Wildhagen  - Neue Zürcher Zeitung)

Jetzt wagt sich Alex Ross, Musikkritiker des „New Yorker“, an eine Aufgabe, für die bei Wagner die Riesen aus „Rheingold“ zuständig wären: Er baut eine 906 Seiten starke Burg, in deren Räumen er spektakuläre Funde der Wagner-Literatur zusammenträgt. Von der Zeitachse aus arbeitet sich der Generalist Ross durch sämtliche Etagen, durch Politik und Kunst, Philosophie und Werkdeutung, Theologie und Kompositionslehre. Das Ergebnis ist grandios. Wer dem Meister auf höchstem Niveau begegnen möchte, muss in „Die Welt nach Wagner“ eindringen. 

(Wolfram Goertz  - Rheinische Post)

Yannick Nézet-Séguin dirigiert Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 1 D-Dur - "Titan"

Y. Nézet-Séguin gehört zu den Shootingstars der Klassikszene - wer ihn live erlebt, versteht auch unmittelbar, warum. Er ist ein durchaus charismatischer, sehr energiegeladener Dirigent, der nicht nur die Musiker in seinen Bann zu ziehen vermag. Hier dirigiert er Mahlers erste Sinfonie, mit dem vorzüglich disponierten BR-Symphonieorchester. Und was gleich zu Beginn auffällt, ist die Betonung der Nebenstimmen, das Herausheben einzelner Instrumente(ngruppen), die somit immer wieder zu "Unerherhörtem" im Sinne des so noch nicht gehörten führt. Und das macht die Interpretation äußerst spannend. Von der Grundhaltung hören wir immer wieder eine leise Ironie, er überzieht diesen Ansatz nie ins Sarkastische. Und ist gerade auch im dritten Satz - im Wechsel des ironischen Trauermarschs hin zur berührenden "Lindenbaum"-Passage - sehr überzeugend. Wie er überhaupt das vermeintlich "Titanische" zugunsten einer eher humanistisch-nachdenklichen Haltung zurückstellt. Aber natürlich hat er den Atem, die Steigerungen im letzten Satz spannend und konsequent zu gestalten. Neben den großen Interpretationen eines Walters, eines Bernsteins, eines Abbados eine sehr sehens- und hörenswerte Neuinterpretation: Eine gelungene Visitenkarte des neuen MET-Direktors.

Die Aufführung ist auch auf CD erhältlich.

 

Von Schlümpfen und Heldentenören - Mein Wagner Erstkontakt

“Wer zu Richard Wagner geht, kommt bei ihm um. Auf rätselhafte Weise macht seine Kunst viele Konsumenten bereits beim Erstkontakt süchtig. Danach gibt es kaum Möglichkeiten des Schutzes oder der Immunisierung.” - So sieht es Wolfram Goertz in einem 2013 erschienenen Artikel in der “Zeit” zum 200. Geburtstag des Meisters. Und er hat recht. So weit ich mich erinnern kann, fand mein Erstkontakt mit 13 oder 14 Jahren statt. Meine Mutter sagte mir einmal, dass ich ungefähr zu dieser Zeit anfing, mir anstatt Schlümpfe für meinen Setzkasten, lieber Langspielplatten mit klassischer Musik zu wünschen. Unter diesen ersten Schallplatten war ein Doppelalbum des spanischen Startenors Placido Domingos, den ich zuvor nur aus dem Radio kannte und dessen Stimme mich begeisterte. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass noch bevor ich Wagnerianer wurde, ich ein großer Domingo-Fan war (und es bis heute noch bin): Domingo ist - zusammen mit Fritz Wunderlich - einfach “der Größte”. 

Auf diesem Doppelalbum war nun auch ein Ausschnitt aus Wagners “Meistersinger von Nürnberg”, Walter von Stolzings Preislied “Morgenlich leuchtend” aus dem 3. Akt. Hier können Sie es anhören:

   

Dieses Preislied war also mein “Wagner Erstkontakt”. Und ich war begeistert und hörte mir diese Stelle wieder und wieder an. Ich war “infiziert” und begann mich in unserer Stadtbücherei ausführlicher über das Leben und Werk Richard Wagners zu informieren. Und natürlich wollte ich nun unbedingt mehr hören, eine ganze Wagner Oper oder besser noch, gleich Wagners monumentalen Vierteiler, den “Ring des Nibelungen”. So sammelte ich mein Taschengeld für dieses LP-Grossprojekt und schlug dann zu: Karl Böhms legendärer Bayreuther “Ring” aus dem Jahr 1966. 15 Stunden Wagner nonstop! Denn bei Wagner wird nichts im Kleinformat vorgeführt, seine Opern sind ganz großes Kino.

Wagner war kein Nostalgiker, sondern leidenschaftlicher Revolutionär, der sich mit den bestehenden Verhältnissen überhaupt nicht abfinden wollte. Bei genauerer Betrachtung ist der "Ring" auch keine verklärende Germanen-Sage. Vielmehr ging es um Gesellschaftskritik in archaischem Gewand. Text, Bild und Musik sollten zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen und die Handlung zum Menschheitsgleichnis werden. Es geht um den Gegensatz von Geld und Liebe und die zerstörerische Kraft des Machtstrebens. - 

Aber in diesem Beitrag soll es darum gehen, wie Wagners Musik mir zum unverzichtbaren Alltagsbegleiter wurde. Und nichts eignet sich besser als "Einstiegsdroge", als das Vorspiel zu "Das Rheingold", dem ersten Teil des Opernvierteilers. Hören wir also die ersten 4 Minuten (bei gefallen auch länger) des "Rings" in der bereits angesprochenen Bayreuther Einspielung unter Karl Böhm, meiner ersten Wagner-Gesamtaufnahme auf LP:

   

Im Wasser beginnt alles Leben und endet auch dort am Ende der "Götterdämmerung". Im berühmten 136 Takte dauernden Vorspiel, in dem sich die Keimzelle allen Werdens, als „Es“ in den Kontrabässen allmählich aus dem Urschlamm herauslöst, lässt Wagner den Klang wie aus dem Nichts entstehen. Zum „Es“ intonieren die Fagotte in völliger Ruhe, es regt sich „Leben und Weben“, dann kommen die Hörner dazu, die in weichen Piano-Linien, übergangslos in aufsteigenden Hornquinten das „Werde-Motiv“ bilden. So entsteht nach und nach der vollständige Es-Dur Akkord, die Streicher gehen in eine immer bewegtere Wellenbewegung über, die im jubelnden lautmalerischen Gesang der Rheintöchter gipfelt.

Das ist pure Klangmagie: Musik aus dem Nichts. 

Etwas vergleichbares hatte ich zuvor noch nie gehört. Und auch heute bekomme ich - wie damals - noch immer eine "Gänsehaut", wenn ich das Rheingold-Vorspiel live im Opernhaus (besonders in Bayreuth) oder auf Tonträgern höre. 

So begann "Wagners einzigartiges Werk, in dem sich Mythos und Modernität, Klangmagie und Seelenzauber, Verführungskraft und Menschlichkeit zu einem Netz verknüpfen, das unsere ganze Seele gefangen nimmt" (Dieter Borchmeyer), mein Leben für immer zu verändern.

Mittwoch, 12. Februar 2025

Von der Faszination historischer Aufnahmen (8) - Bruno Walters legendäre Kultaufnahme des ersten Aktes der Walküre mit Lauritz Melchior und Lotte Lehmann (1935)

Diese CD ist nicht nur ein Muss für alle "Wagner-Apostel", sondern sie dürfte auch allgemein die Freunde historischer Klangdokumente interessieren - seien es die Fans von großen Jahrhundert-Dirigenten, bedeutenden Gesangssolisten oder von Orchestern wie den Wiener Philharmonikern. 

Am 22. Juni 1935 fand sich d i e Starbesetzung für Wagner- Opern zur Aufnahme des 1. Aktes der Oper "Die Walküre" in einem Wiener Tonstudio ein, noch nicht wissend, dass eine Kultaufnahme mit Referenzstatus entstehen würde. Die Besetzung: Der unübertroffene dänische Heldentenor Lauritz Melchior als Siegmund, die ausdrucksintensive Sopranistin Lotte Lehmann als Sieglinde und einer der wohl dunkelsten und finstersten Bässe, Emanuel List, als Hunding. Die Klangtechnik der Dreißiger Jahre hat freilich nicht die glatte Stereo-Perfektion der heutigen Zeit, aber man hat die Originale behutsam und sorgfältig restauriert. Die Aufnahme ist sehr lebendig durch ihr dramatisches Feuer. 

Lauritz Melchior, immer schon ein Ausnahmesänger, erfüllt den Siegmund mit verzehrender Intensität und gestaltet bis in die Details höchst ausdrucksstark. Lotte Lehmann lässt den ganzen Glanz ihrer herrlichen, lyrischen Stimme hell aufstrahlen. Sie hat eine sehr schöne Stimme, die ideal für Sieglinde ist: im Kern solide, aber mit weichen Kanten, und auch sie hat eine vorbildliche Diktion und ein ausgezeichnetes Legato. Emanuel List gestaltet den Hunding schwarzstimmig, mächtig im Klang und düster drohend. Und dies alles unter dem Dirigenten Bruno Walter, der die Wiener Philharmoniker musikalisch auf Hochtouren bringt. Unterstützt durch das strahlende Spiel des Orchesters beschwört er Wagners einzigartige Welt aus vermischtem Klang und Emotion herauf wie kein anderer.

Ein erschütterndes, legendäres Musiktheatererlebnis und die Krönung aller historischen Wagner-Dokumente.



Dienstag, 4. Februar 2025

"Die Beichte als Voraussetzung für die Erstkommunion gehört abgeschafft"

Das ist die Meinung von Frau Gabriele Höfling, Redakteurin bei katholisch.de (15.1.2025). Sie schreibt:

Die bisherige, im Kirchenrecht verankerte Praxis, den Erstkommunionempfang von 8- oder 9-Jährigen an die Bedingung der vorherigen Beichte zu knüpfen, ist hochproblematisch. Das zeigt eine ganze Reihe von Argumenten: Einerseits sind Kinder entwicklungspsychologisch laut Experten in diesem Alter noch gar nicht in der Lage, Konzepte wie Schuld und Sünde richtig zu begreifen.

Meine Frage: Sind denn die Kinder in diesem Alter fähig, das Mysterium der Eucharistie „richtig zu begreifen“? Meine Erfahrungen: Wenn ich die Kommunion austeile an Kinder in diesem Alter, dann habe ich den Eindruck, dass sie nicht wissen, was sie empfangen. Dabei bin ich mir nicht sicher, woran es liegt: an der mangelnden Intelligenz der Kinder? Oder gibt es noch einen anderen Grund? In den Gemeinden sind es meist die einsatzfreudigen sogenannten Kommunionmütter. Wer katechetisiert die Katecheten?

Da man aber landauf landab nicht daran denkt oder es nicht wagt, über den rechten Zeitpunkt der Erstkommunion nachzudenken, scheint man also der Meinung zu sein, die Kinder in diesem Alter seien zwar entwicklungspsychologisch nicht in der Lage, Konzept wie Schuld und Sünde richtig zu begreifen, aber sie seien dennoch in der Lage, das Konzept der Eucharistie zu begreifen. Denn da werden bis jetzt keine Bedenken geäußert. Warum eigentlich nicht?

Also: Wenn man den Kindern zutraut, das Mysterium der Eucharistie „richtig zu begreifen“ und sich dem entsprechend zu verhalten, und das sollte sich eigentlich zeigen in einem andächtigen und ehrfürchtigen Empfang des Leibes des Herrn, dann sind sie auch fähig, Wesen und Bedeutung des Sakramentes der Versöhnung „richtig zu begreifen“, vorausgesetzt, es wird ihnen von Katecheten recht vermittelt, die – im Ideal-Fall – selber eine ordentliche Beichtpraxis pflegen. Meine Erfahrungen beim Hören dieser Erstbeichten waren für mich erschreckend: weder ein (kindgemäßes) Sündenbewusstsein noch eine (kindgemäße) Sündenerkenntnis der Beichtenden! Ich fragte mich danach: wie und von wem sind diese Kinder nur vorbereitet worden?

Studien haben zudem belegt, dass die Beichte anfällig ist für die Anbahnung von Kindesmissbrauch.

Mein Zwischenruf: Um genau das zu verhindern, haben wir die gute alte Tradition von Beichtstühlen, die aber seit Jahren als Abstellkammern für Staubsauer und Putzmaterial missbraucht werden, wenn sie denn nicht schon entsorgt worden sind.

Zudem wirkt in einer Zeit, in der auch bei Erwachsenen die Beichtpraxis stark zurückgeht, ein Beichtzwang für Kinder grotesk.

Zwischenrufe: Sollte der Rückgang der Beichtpraxis bei Erwachsenen eine Handlungsorientierung für die nachwachsende Generation der Zukunft sein? Weil die Erwachsenen nicht beichten, deswegen sollen die Kinder nicht vernünftig zur Beichte geführt werden? Was ist das denn für eine Logik? Dabei ist doch eine kindgemäße Beichtkatechese und Beichtpastoral die Chance für die Zukunft, dieses wunderbare Sakrament allmählich wieder in die normale Pastoral einzuführen! Das pastorale Personal könnte doch mit Katechesen zum Sakrament der Beichte beginnen. Dazu muss man keine Klimmzüge machen. Das GOTTESLOB bietet ausgezeichnetes Material: 597 DIE (ERST-)BEICHTE VON KINDERN und 598 HILFEN ZUR GEWISSENSERFORSCHUNG FÜR KINDER. Die beste Voraussetzung dafür ist eine gute Beichtpraxis der Katecheten, welche die Kinder zur Beichte hinführen wollen. Die Verwirrung scheint nicht gering, selbst bei Priestern. Als ich in einer sakramentalen Beichte das Bekenntnis meiner Sünden abgelegt hatte, sagte mir der Beichtpriester, der es sicher nur gut meinte: „Aber Herr Pater, Sie müssen doch auch sehen, was Sie Gutes getan haben!“ Vielleicht dachte er, ich sei depressiv, und glaubte, mich trösten und mir einen guten Zuspruch geben zu müssen. Ich antwortete: „Ich dachte, in der Beichte solle ich alle meine Sünden und nur meine Sünden bekennen, und nicht meine guten Taten aufzählen.“ Danach fragte ich mich, was dieser Priester in seiner Pfarrei den Kindern zur Vorbereitung der Beichte erzählen wird, vielleicht in dem Stil: „Liebe Kinder, ihr könnt ganz beruhigt alle eure Probleme erzählen. Der Priester wird euch gut zuhören und ihr braucht keine Angst zu haben.“ Dann kann es passieren, dass die Kinder in der Beichte ihre Probleme mit den Eltern erzählen und von dem Stress, den sie mit ihnen haben, erzählen, aber nicht ihre Sünden bekennen.

Schließlich ist die Erstkommunionkatechese inzwischen für nicht wenige Familien der erste tiefere Berührungspunkt mit der Kirche. Dann gleich mit dem hochtheologischen Sakrament der Buße und Versöhnung zu kommen, kann leicht überfordern.

Zwischenrufe: Ist das Sakrament der Eucharistie weniger „hochtheologisch“? Wenn es aber ebenso hochtheologisch ist wie das Sakrament der Buße, dann ist es konsequent, auch für dieses Sakrament einen geeigneteren zeitlichen Ansatz zu finden. Aber diese Frage scheint nicht im Fokus zu stehen. Warum nicht? Vielleicht deswegen nicht, weil mit dieser Feier sentimentale, nostalgische, romantische Bedürfnisse befriedigt werden; oder gibt es einen „Gottesbedarf“? Ich bin mir nicht sicher, denn nach dem Weißen Sonntag ist kein Gottesbedarf mehr vorhanden.

Eine negative erste Beichterfahrung ist für den weiteren Zugang zur Beichte aber wohl eher abträglich. Das wäre tragisch, denn bei einem richtigen Verständnis kann das Sakrament tatsächlich eine positive, befreiende und stärkende Wirkung haben.

Richtig. Die Lösung ist eine adressaten-adäquate Beichtkatechese.

Ansätze, die bisherige Herangehensweise zu ändern, gab und gibt es schon: Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Freiburg etwa forderte 2024 eine Verlegung der ersten Beichte auf das Jugendalter.

Zwischenruf: Super! Dann doch bitte auch die Zulassung zum Empfang der Eucharistie. Aber jetzt mal ehrlich: ist denn das die Lösung? Eine „Verlegung der ersten Beichte auf das Jugendalter“ kann die Lösung sein, wenn die Vorbereitung auf die Beichte mystagogisch gestaltet wird. Und es bleibt die Frage nach dem rechten Zeitpunkt für die ersten Empfang der Eucharistie. Kann denn das so bleiben? Ist denn das alles so ok? Oder scheut man sich nur deswegen, dieser Frage nachzugehen, weil man jetzt schon den Aufschrei der (nicht praktizierenden) Eltern scheut?

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es laut der Theologin Birgit Jeggle-Merz bis in die 1970er-Jahre vorübergehend Ausnahmegenehmigungen, die die Beichte erst nach der Erstkommunion ermöglichten.

Zwischenfrage: Was ist der Vorteil? Und überhaupt: warum soll denn die Erstkommunion so früh erfolgen?

Jetzt gilt es, das Thema umfassend anzugehen.

Richtig, dann aber auch bitte wirklich umfassend, und nicht nur im Blick auf die Beichte. Und damit meine ich: den Weg der Initialisierung in die Christwerdung bei Beibehaltung der bei uns bis jetzt immer noch üblichen Kindertaufe.

Vielleicht könnte für Papst Franziskus ja das gerade begonnene Heilige Jahr der Versöhnung ein Anlass sein, das Kirchenrecht in Bezug auf die Kinderbeichte ändern.

Zwischenrufe: Das ist zu kurz gedacht. Es braucht mehr. Ganz besonders ein Überdenken der aktuellen Praxis der Spendung des Sakramentes der Firmung. Machen wir uns doch nichts vor: paradoxer oder perverser Weise: ausgerechnet das Sakrament der Mündigkeit ist zum großen Abschiedsfest von der Kirche geworden. Und alle spielen mit, besonders die Bischöfe.


Ein Gastbeitrag von P. Willibrord Driever OSB


Samstag, 1. Februar 2025

Von der Faszination historischer Aufnahmen (7) - Rudolf Kempes' Dresdner Meistersinger

Richard WAGNER (1813-1883) 
Die Meistersinger von Nürnberg – Oper in drei Akten (1868)

Hans Sachs – Ferdinand Frantz;  Veit Pogner – Kurt Böhme;  Sixtus Beckmesser – Heinrich Pflanzl;  Fritz Kothner – Karl Paul; Walther von Stolzing – Bernd Aldenhoff;  David – Gerhard Unger; Eva – Tiana Lemnitz.  - Chor der Staatsoper Dresden. - Staatskapelle Dresden. - Rudolf Kempe 
rec. 29. April 1951, Dresden
PROFIL PH13006 [4 CDs: 79,51 + 61,59 + 65,54 + 53,21]

Dresden hat zweifellos eine lange Inszenierungstradition der „Meistersinger von Nürnberg“, mit weit über 500 Aufführungen seit der Dresdner Uraufführung 1869. Diese fast 4½ Stunden lange Aufnahme von 1951 wurde unter Verwendung der Original-Masterbänder produziert, genauer gesagt 19 Magnetbandspulen, die in einem Lager des Forschungszentrums des Berliner Rundfunks entdeckt wurden, wo sie seit den späten 1950er Jahren gelagert waren. Hier ist nun beim Remastering das Kunststück gelungen, die originalen Bänder klanglich maximal auszuloten und somit diese immerhin schon 74 Jahre alte Aufnahme in neuem Klanggewand zu präsentieren. Das Ergebnis: Es gibt keine andere Aufnahme, in der man so viel vom Text versteht, wie in dieser.  

Ferdinand Frantz stiehlt auf dieser Aufnahme mit seiner Darstellung des Schuster Hans Sachs verdientermaßen allen die Show. Er macht keinen Fehler. In Sachs’ Flieder-Monolog im 2. Akt und Wahn-Monolog im 3. Akt kommt Frantz’ runder Ton sehr wirkungsvoll zur Geltung, verankert durch sein kräftiges und festes, tiefes Register. Besonders gelungen sind auch das Schusterlied im 2. Akt und Verachtet mir die Meister nicht im 3. Akt zum Lob der heiligen deutschen Kunst. 

In ihrer Blütezeit war Tiana Lemnitz’ Darstellung der Eva eine ihrer Paraderollen. In dieser Aufnahme, in der sie Mitte fünfzig gewesen sein muss, singt selbstbewusst eine reife Eva, wobei ihre strahlende, fließende Stimme immer noch die hohen Töne mühelos erreicht. 

In der Rolle des Walther von Stolzing übernimmt der Duisburger Heldentenor Bernd Aldenhoff den jungen Ritter aus Franken. Aldenhoff, der als gelassener und sensibler Wagnerianer bekannt ist, war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme Mitglied der Staatsoper Dresden. Später in der Saison spielte er seinen ersten Siegfried bei den Bayreuther Festspielen. Walthers anspruchsvolles Preislied aus dem 3. Akt, ein Liebeslied an Eva, wird von Aldenhoff eindrucksvoll dargeboten. Seine Stimme ist nicht zu hell, mit wunderbar klarer Diktion, hat eine starke Zugkraft und kann bis fast auf eine baritonale Ebene hinunterreichen. 

Gerhard Unger war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme etwa 35 Jahre alt und seine Stimme passt problemlos zu Sachs' jungem Lehrling David, einer seiner Paraderollen. Kurt Böhme singt die Rolle des Goldschmieds Veit Pogner. Seine Stimme klingt reif, ist einigermaßen fest und behält hier durchgehend ihren dunklen Ton bei. 

Mit dem durchweg attraktiven Spiel der Staatskapelle gelingt es Rudolf Kempe, die breite Dynamik mit der Melodielinie auszubalancieren. Diese vorliegende epische Dresdner Aufführung von Kempe gehört zu den besten, die ich je gehört habe. Wir hören eine enorm ausgewogene Besetzung, die mit einer Spontanität singt, die man bei Studioaufnahmen nur selten findet.
 
Kurz gesagt, dies sind Meistersinger, die man unbedingt gehört haben sollte.