Donnerstag, 20. Februar 2025

Sir Simon Rattle dirigiert Haydns „Schöpfung“ in der Basilika Ottobeuren

Zum Amtsantritt als Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks hat Sir Simon Rattle Joseph Haydns Oratorium »Die Schöpfung« ausgewählt. Die vorliegende Aufführung vom 24. September 2023 stammt aus der Basilika in Ottobeuren und sticht durch ihre lebendige Live-Atmosphäre mit namhaften Gesangssolisten wie Lucy Crowe, Benjamin Bruns (den ich als hervorragenden "Lohengrin" 2024 an der Bayerischen Staatsoper in München gehört habe) und Christian Gerhaher hervor. 

Von 1796 bis 1798 arbeitete Haydn an »Die Schöpfung«, mit der er den bedeutendsten Beitrag zur Gattung des Oratoriums seit dem Tod Händels schuf. Das Werk widmet sich der biblischen Schöpfung der Welt und des Menschen mit Optimismus, aufklärerischem Humanismus und bisweilen auch mit humorvollem Augenzwinkern. Bachs Kontrapunkt, Händels Pracht und Mozarts Melodik – all das ist, wenn man so will, hier zu einer grandiosen Synthese verschmolzen, und dennoch ist es unverkennbar die Sprache von Joseph Haydn, die sich in den virtuosen Arien, den glanzvollen Chören und der orchestralen Vielfarbigkeit der »Schöpfung« offenbart. Mit diesem Spätwerk feierte Joseph Haydn seinen größten Triumph: Die Anerkennung, die ihm hier zuteilwurde, stellte all seine früheren Erfolge in den Schatten. Das Oratorium vereint Haydns orchestrale Finesse mit wirkungsvollen Chören, es kombiniert die anschauliche Schilderung der Schöpfungsgeschichte mit feiner klanglicher Ausdeutung und ist gleichsam ein musikalisches Manifest der Epoche der Aufklärung. Als solches erlebt die »Schöpfung« eine ununterbrochene Aufführungstradition, an der sich heute jedes Weltklasseensemble messen lassen muss. 

Das Konzert ist auch als Doppel-CD beim Label "BRKlassik" erschienen.
 
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Mittwoch, 19. Februar 2025

Aktuelle Tischlesung im Kloster - Papst Franziskus: Hoffe! - Die Autobiografie

Jorge Mario Bergoglio ist kein gewöhnlicher Papst: Er ist der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri, der erste Lateinamerikaner, der erste Franziskus, der Erste, der umfassende Reformen im Vatikan verfolgt. Und er ist der erste Papst in der Geschichte, der eine Autobiografie zu seinen Lebzeiten vorlegt. Eigentlich hätte dieses außerordentliche Lebenszeugnis erst nach seinem Tod veröffentlicht werden sollen, aber Papst Franziskus hat sich angesichts der Erfordernisse unserer Zeit und aufgrund des Heiligen Jahres 2025 dazu entschlossen, den Einblick in sein Leben schon jetzt zugänglich zu machen. Denn seine Biografie, seine Erlebnisse spiegeln in unvergleichlicher Weise sein Vermächtnis wider, das er uns allen, dir und mir, und trotz aller Widrigkeiten zuruft: Hoffe! 

Das Buch erzählt chronologisch und in Franziskus´ persönlichem Stil seine gesamte Lebensgeschichte, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen italienischen Wurzeln beginnt. Es erzählt von der abenteuerlichen Geschichte der Auswanderung seiner Vorfahren nach Lateinamerika, seiner Kindheit dort und den Turbulenzen seiner Jugendjahre. Es berichtet von seiner Berufung und seiner Reifezeit ebenso wie von seinem Pontifikat und der Gegenwart. 

Mit großer erzählerischer Kraft holt Papst Franziskus aus und lässt uns teilhaben an seinen intimsten Erinnerungen (und seinen Leidenschaften). Und er geht schonungslos die zentralen Anliegen seines Pontifikats an und wendet sich mutig, nüchtern und prophetisch den wichtigsten Themen unserer Zeit zu: Krieg und Frieden (die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten), Migration, Umweltschutz, Sozialpolitik, die Stellung der Frau, Sexualität, der technische Fortschritt sowie die Zukunft der Kirche und der Religionen. 

Mit vielen Enthüllungen, Anekdoten und aufschlussreichen Überlegungen präsentiert sich diese Autobiografie emotional und gleichzeitig zutiefst menschlich, anrührend und humorvoll. Hier tritt uns einerseits der „Roman eines Lebens“ entgegen und andererseits das moralische und spirituelle Testament seines Verfassers, das Leserinnen und Leser in aller Welt faszinieren wird, weil es das Vermächtnis der Hoffnung für künftige Generationen ist.

Buchtipp - Alex Ross: Die Welt nach Wagner - Ein deutscher Künstler und sein Einfluss auf die Moderne

Ein Standardwerk über den großen Komponisten - von einem der angesehensten Musikkritiker der USA. Beginnend mit dem Tod Wagners erzählt Alex Ross, was für uns zur Gegenwart geworden ist: Wir leben und sehen die Welt seit Wagner mit seinen Augen, seine Themen und Szenen prägen auch heute noch unser gesellschaftliches Bühnenbild. Wagner ist für Ross ein deutsches Drama, das sich aus der Wirklichkeit, aber auch aus dem Wahn speist. Sein Buch ist eine eindrucksvolle Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, durchzogen von dem Erbe Richard Wagners - der widersprüchlich war, ungreifbar, vielleicht sogar unvollendet. Nur so ist auch seine Musik und sein Nachleben in Deutschland zu verstehen: Wir sind noch immer Wagner. 

Die „Schatten“, die ex post auf Wagner und sein Werk projiziert wurden, möchte Ross weder kleinreden noch wegdiskutieren. Er stellt ihnen jedoch in einer monumentalen Studie die Glanzlichter einer seit bald zwei Jahrhunderten ununterbrochen brodelnden Auseinandersetzung mit (und um) Wagner entgegen. In seiner Breite und Vielfalt, aber ebenso in seiner Widersprüchlichkeit hat dieser Diskurs wenige Entsprechungen in der Kulturgeschichte. Auf annähernd tausend eng bedruckten Seiten summiert sich seine in zwölf Jahren zusammengetragene Enzyklopädie der Wagner-Lesarten. Keine einzige davon möchte man missen. Es bleibt ein klares Bild mit Hunderten feingezeichneter Details und Facetten. In einer Zeit, die ein fatales Bedürfnis nach einfachen Antworten wiederentdeckt, ist dieses Buch das eindringlichste Plädoyer gegen jegliche Schwarz-Weiss-Malerei, gerade bei diesem Jahrhundertkomponisten. 

(Christian Wildhagen  - Neue Zürcher Zeitung)

Jetzt wagt sich Alex Ross, Musikkritiker des „New Yorker“, an eine Aufgabe, für die bei Wagner die Riesen aus „Rheingold“ zuständig wären: Er baut eine 906 Seiten starke Burg, in deren Räumen er spektakuläre Funde der Wagner-Literatur zusammenträgt. Von der Zeitachse aus arbeitet sich der Generalist Ross durch sämtliche Etagen, durch Politik und Kunst, Philosophie und Werkdeutung, Theologie und Kompositionslehre. Das Ergebnis ist grandios. Wer dem Meister auf höchstem Niveau begegnen möchte, muss in „Die Welt nach Wagner“ eindringen. 

(Wolfram Goertz  - Rheinische Post)

Yannick Nézet-Séguin dirigiert Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 1 D-Dur - "Titan"

Y. Nézet-Séguin gehört zu den Shootingstars der Klassikszene - wer ihn live erlebt, versteht auch unmittelbar, warum. Er ist ein durchaus charismatischer, sehr energiegeladener Dirigent, der nicht nur die Musiker in seinen Bann zu ziehen vermag. Hier dirigiert er Mahlers erste Sinfonie, mit dem vorzüglich disponierten BR-Symphonieorchester. Und was gleich zu Beginn auffällt, ist die Betonung der Nebenstimmen, das Herausheben einzelner Instrumente(ngruppen), die somit immer wieder zu "Unerherhörtem" im Sinne des so noch nicht gehörten führt. Und das macht die Interpretation äußerst spannend. Von der Grundhaltung hören wir immer wieder eine leise Ironie, er überzieht diesen Ansatz nie ins Sarkastische. Und ist gerade auch im dritten Satz - im Wechsel des ironischen Trauermarschs hin zur berührenden "Lindenbaum"-Passage - sehr überzeugend. Wie er überhaupt das vermeintlich "Titanische" zugunsten einer eher humanistisch-nachdenklichen Haltung zurückstellt. Aber natürlich hat er den Atem, die Steigerungen im letzten Satz spannend und konsequent zu gestalten. Neben den großen Interpretationen eines Walters, eines Bernsteins, eines Abbados eine sehr sehens- und hörenswerte Neuinterpretation: Eine gelungene Visitenkarte des neuen MET-Direktors.

Die Aufführung ist auch auf CD erhältlich.

 

Von Schlümpfen und Heldentenören - Mein Wagner Erstkontakt

“Wer zu Richard Wagner geht, kommt bei ihm um. Auf rätselhafte Weise macht seine Kunst viele Konsumenten bereits beim Erstkontakt süchtig. Danach gibt es kaum Möglichkeiten des Schutzes oder der Immunisierung.” - So sieht es Wolfram Goertz in einem 2013 erschienenen Artikel in der “Zeit” zum 200. Geburtstag des Meisters. Und er hat recht. So weit ich mich erinnern kann, fand mein Erstkontakt mit 13 oder 14 Jahren statt. Meine Mutter sagte mir einmal, dass ich ungefähr zu dieser Zeit anfing, mir anstatt Schlümpfe für meinen Setzkasten, lieber Langspielplatten mit klassischer Musik zu wünschen. Unter diesen ersten Schallplatten war ein Doppelalbum des spanischen Startenors Placido Domingos, den ich zuvor nur aus dem Radio kannte und dessen Stimme mich begeisterte. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass noch bevor ich Wagnerianer wurde, ich ein großer Domingo-Fan war (und es bis heute noch bin): Domingo ist - zusammen mit Fritz Wunderlich - einfach “der Größte”. 

Auf diesem Doppelalbum war nun auch ein Ausschnitt aus Wagners “Meistersinger von Nürnberg”, Walter von Stolzings Preislied “Morgenlich leuchtend” aus dem 3. Akt. Hier können Sie es anhören:

   

Dieses Preislied war also mein “Wagner Erstkontakt”. Und ich war begeistert und hörte mir diese Stelle wieder und wieder an. Ich war “infiziert” und begann mich in unserer Stadtbücherei ausführlicher über das Leben und Werk Richard Wagners zu informieren. Und natürlich wollte ich nun unbedingt mehr hören, eine ganze Wagner Oper oder besser noch, gleich Wagners monumentalen Vierteiler, den “Ring des Nibelungen”. So sammelte ich mein Taschengeld für dieses LP-Grossprojekt und schlug dann zu: Karl Böhms legendärer Bayreuther “Ring” aus dem Jahr 1966. 15 Stunden Wagner nonstop! Denn bei Wagner wird nichts im Kleinformat vorgeführt, seine Opern sind ganz großes Kino.

Wagner war kein Nostalgiker, sondern leidenschaftlicher Revolutionär, der sich mit den bestehenden Verhältnissen überhaupt nicht abfinden wollte. Bei genauerer Betrachtung ist der "Ring" auch keine verklärende Germanen-Sage. Vielmehr ging es um Gesellschaftskritik in archaischem Gewand. Text, Bild und Musik sollten zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen und die Handlung zum Menschheitsgleichnis werden. Es geht um den Gegensatz von Geld und Liebe und die zerstörerische Kraft des Machtstrebens. - 

Aber in diesem Beitrag soll es darum gehen, wie Wagners Musik mir zum unverzichtbaren Alltagsbegleiter wurde. Und nichts eignet sich besser als "Einstiegsdroge", als das Vorspiel zu "Das Rheingold", dem ersten Teil des Opernvierteilers. Hören wir also die ersten 4 Minuten (bei gefallen auch länger) des "Rings" in der bereits angesprochenen Bayreuther Einspielung unter Karl Böhm, meiner ersten Wagner-Gesamtaufnahme auf LP:

   

Im Wasser beginnt alles Leben und endet auch dort am Ende der "Götterdämmerung". Im berühmten 136 Takte dauernden Vorspiel, in dem sich die Keimzelle allen Werdens, als „Es“ in den Kontrabässen allmählich aus dem Urschlamm herauslöst, lässt Wagner den Klang wie aus dem Nichts entstehen. Zum „Es“ intonieren die Fagotte in völliger Ruhe, es regt sich „Leben und Weben“, dann kommen die Hörner dazu, die in weichen Piano-Linien, übergangslos in aufsteigenden Hornquinten das „Werde-Motiv“ bilden. So entsteht nach und nach der vollständige Es-Dur Akkord, die Streicher gehen in eine immer bewegtere Wellenbewegung über, die im jubelnden lautmalerischen Gesang der Rheintöchter gipfelt.

Das ist pure Klangmagie: Musik aus dem Nichts. 

Etwas vergleichbares hatte ich zuvor noch nie gehört. Und auch heute bekomme ich - wie damals - noch immer eine "Gänsehaut", wenn ich das Rheingold-Vorspiel live im Opernhaus (besonders in Bayreuth) oder auf Tonträgern höre. 

So begann "Wagners einzigartiges Werk, in dem sich Mythos und Modernität, Klangmagie und Seelenzauber, Verführungskraft und Menschlichkeit zu einem Netz verknüpfen, das unsere ganze Seele gefangen nimmt" (Dieter Borchmeyer), mein Leben für immer zu verändern.

Mittwoch, 12. Februar 2025

Von der Faszination historischer Aufnahmen (8) - Bruno Walters legendäre Kultaufnahme des ersten Aktes der Walküre mit Lauritz Melchior und Lotte Lehmann (1935)

Diese CD ist nicht nur ein Muss für alle "Wagner-Apostel", sondern sie dürfte auch allgemein die Freunde historischer Klangdokumente interessieren - seien es die Fans von großen Jahrhundert-Dirigenten, bedeutenden Gesangssolisten oder von Orchestern wie den Wiener Philharmonikern. 

Am 22. Juni 1935 fand sich d i e Starbesetzung für Wagner- Opern zur Aufnahme des 1. Aktes der Oper "Die Walküre" in einem Wiener Tonstudio ein, noch nicht wissend, dass eine Kultaufnahme mit Referenzstatus entstehen würde. Die Besetzung: Der unübertroffene dänische Heldentenor Lauritz Melchior als Siegmund, die ausdrucksintensive Sopranistin Lotte Lehmann als Sieglinde und einer der wohl dunkelsten und finstersten Bässe, Emanuel List, als Hunding. Die Klangtechnik der Dreißiger Jahre hat freilich nicht die glatte Stereo-Perfektion der heutigen Zeit, aber man hat die Originale behutsam und sorgfältig restauriert. Die Aufnahme ist sehr lebendig durch ihr dramatisches Feuer. 

Lauritz Melchior, immer schon ein Ausnahmesänger, erfüllt den Siegmund mit verzehrender Intensität und gestaltet bis in die Details höchst ausdrucksstark. Lotte Lehmann lässt den ganzen Glanz ihrer herrlichen, lyrischen Stimme hell aufstrahlen. Sie hat eine sehr schöne Stimme, die ideal für Sieglinde ist: im Kern solide, aber mit weichen Kanten, und auch sie hat eine vorbildliche Diktion und ein ausgezeichnetes Legato. Emanuel List gestaltet den Hunding schwarzstimmig, mächtig im Klang und düster drohend. Und dies alles unter dem Dirigenten Bruno Walter, der die Wiener Philharmoniker musikalisch auf Hochtouren bringt. Unterstützt durch das strahlende Spiel des Orchesters beschwört er Wagners einzigartige Welt aus vermischtem Klang und Emotion herauf wie kein anderer.

Ein erschütterndes, legendäres Musiktheatererlebnis und die Krönung aller historischen Wagner-Dokumente.


Dienstag, 4. Februar 2025

"Die Beichte als Voraussetzung für die Erstkommunion gehört abgeschafft"

Das ist die Meinung von Frau Gabriele Höfling, Redakteurin bei katholisch.de (15.1.2025). Sie schreibt:

Die bisherige, im Kirchenrecht verankerte Praxis, den Erstkommunionempfang von 8- oder 9-Jährigen an die Bedingung der vorherigen Beichte zu knüpfen, ist hochproblematisch. Das zeigt eine ganze Reihe von Argumenten: Einerseits sind Kinder entwicklungspsychologisch laut Experten in diesem Alter noch gar nicht in der Lage, Konzepte wie Schuld und Sünde richtig zu begreifen.

Meine Frage: Sind denn die Kinder in diesem Alter fähig, das Mysterium der Eucharistie „richtig zu begreifen“? Meine Erfahrungen: Wenn ich die Kommunion austeile an Kinder in diesem Alter, dann habe ich den Eindruck, dass sie nicht wissen, was sie empfangen. Dabei bin ich mir nicht sicher, woran es liegt: an der mangelnden Intelligenz der Kinder? Oder gibt es noch einen anderen Grund? In den Gemeinden sind es meist die einsatzfreudigen sogenannten Kommunionmütter. Wer katechetisiert die Katecheten?

Da man aber landauf landab nicht daran denkt oder es nicht wagt, über den rechten Zeitpunkt der Erstkommunion nachzudenken, scheint man also der Meinung zu sein, die Kinder in diesem Alter seien zwar entwicklungspsychologisch nicht in der Lage, Konzept wie Schuld und Sünde richtig zu begreifen, aber sie seien dennoch in der Lage, das Konzept der Eucharistie zu begreifen. Denn da werden bis jetzt keine Bedenken geäußert. Warum eigentlich nicht?

Also: Wenn man den Kindern zutraut, das Mysterium der Eucharistie „richtig zu begreifen“ und sich dem entsprechend zu verhalten, und das sollte sich eigentlich zeigen in einem andächtigen und ehrfürchtigen Empfang des Leibes des Herrn, dann sind sie auch fähig, Wesen und Bedeutung des Sakramentes der Versöhnung „richtig zu begreifen“, vorausgesetzt, es wird ihnen von Katecheten recht vermittelt, die – im Ideal-Fall – selber eine ordentliche Beichtpraxis pflegen. Meine Erfahrungen beim Hören dieser Erstbeichten waren für mich erschreckend: weder ein (kindgemäßes) Sündenbewusstsein noch eine (kindgemäße) Sündenerkenntnis der Beichtenden! Ich fragte mich danach: wie und von wem sind diese Kinder nur vorbereitet worden?

Studien haben zudem belegt, dass die Beichte anfällig ist für die Anbahnung von Kindesmissbrauch.

Mein Zwischenruf: Um genau das zu verhindern, haben wir die gute alte Tradition von Beichtstühlen, die aber seit Jahren als Abstellkammern für Staubsauer und Putzmaterial missbraucht werden, wenn sie denn nicht schon entsorgt worden sind.

Zudem wirkt in einer Zeit, in der auch bei Erwachsenen die Beichtpraxis stark zurückgeht, ein Beichtzwang für Kinder grotesk.

Zwischenrufe: Sollte der Rückgang der Beichtpraxis bei Erwachsenen eine Handlungsorientierung für die nachwachsende Generation der Zukunft sein? Weil die Erwachsenen nicht beichten, deswegen sollen die Kinder nicht vernünftig zur Beichte geführt werden? Was ist das denn für eine Logik? Dabei ist doch eine kindgemäße Beichtkatechese und Beichtpastoral die Chance für die Zukunft, dieses wunderbare Sakrament allmählich wieder in die normale Pastoral einzuführen! Das pastorale Personal könnte doch mit Katechesen zum Sakrament der Beichte beginnen. Dazu muss man keine Klimmzüge machen. Das GOTTESLOB bietet ausgezeichnetes Material: 597 DIE (ERST-)BEICHTE VON KINDERN und 598 HILFEN ZUR GEWISSENSERFORSCHUNG FÜR KINDER. Die beste Voraussetzung dafür ist eine gute Beichtpraxis der Katecheten, welche die Kinder zur Beichte hinführen wollen. Die Verwirrung scheint nicht gering, selbst bei Priestern. Als ich in einer sakramentalen Beichte das Bekenntnis meiner Sünden abgelegt hatte, sagte mir der Beichtpriester, der es sicher nur gut meinte: „Aber Herr Pater, Sie müssen doch auch sehen, was Sie Gutes getan haben!“ Vielleicht dachte er, ich sei depressiv, und glaubte, mich trösten und mir einen guten Zuspruch geben zu müssen. Ich antwortete: „Ich dachte, in der Beichte solle ich alle meine Sünden und nur meine Sünden bekennen, und nicht meine guten Taten aufzählen.“ Danach fragte ich mich, was dieser Priester in seiner Pfarrei den Kindern zur Vorbereitung der Beichte erzählen wird, vielleicht in dem Stil: „Liebe Kinder, ihr könnt ganz beruhigt alle eure Probleme erzählen. Der Priester wird euch gut zuhören und ihr braucht keine Angst zu haben.“ Dann kann es passieren, dass die Kinder in der Beichte ihre Probleme mit den Eltern erzählen und von dem Stress, den sie mit ihnen haben, erzählen, aber nicht ihre Sünden bekennen.

Schließlich ist die Erstkommunionkatechese inzwischen für nicht wenige Familien der erste tiefere Berührungspunkt mit der Kirche. Dann gleich mit dem hochtheologischen Sakrament der Buße und Versöhnung zu kommen, kann leicht überfordern.

Zwischenrufe: Ist das Sakrament der Eucharistie weniger „hochtheologisch“? Wenn es aber ebenso hochtheologisch ist wie das Sakrament der Buße, dann ist es konsequent, auch für dieses Sakrament einen geeigneteren zeitlichen Ansatz zu finden. Aber diese Frage scheint nicht im Fokus zu stehen. Warum nicht? Vielleicht deswegen nicht, weil mit dieser Feier sentimentale, nostalgische, romantische Bedürfnisse befriedigt werden; oder gibt es einen „Gottesbedarf“? Ich bin mir nicht sicher, denn nach dem Weißen Sonntag ist kein Gottesbedarf mehr vorhanden.

Eine negative erste Beichterfahrung ist für den weiteren Zugang zur Beichte aber wohl eher abträglich. Das wäre tragisch, denn bei einem richtigen Verständnis kann das Sakrament tatsächlich eine positive, befreiende und stärkende Wirkung haben.

Richtig. Die Lösung ist eine adressaten-adäquate Beichtkatechese.

Ansätze, die bisherige Herangehensweise zu ändern, gab und gibt es schon: Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Erzbistum Freiburg etwa forderte 2024 eine Verlegung der ersten Beichte auf das Jugendalter.

Zwischenruf: Super! Dann doch bitte auch die Zulassung zum Empfang der Eucharistie. Aber jetzt mal ehrlich: ist denn das die Lösung? Eine „Verlegung der ersten Beichte auf das Jugendalter“ kann die Lösung sein, wenn die Vorbereitung auf die Beichte mystagogisch gestaltet wird. Und es bleibt die Frage nach dem rechten Zeitpunkt für die ersten Empfang der Eucharistie. Kann denn das so bleiben? Ist denn das alles so ok? Oder scheut man sich nur deswegen, dieser Frage nachzugehen, weil man jetzt schon den Aufschrei der (nicht praktizierenden) Eltern scheut?

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es laut der Theologin Birgit Jeggle-Merz bis in die 1970er-Jahre vorübergehend Ausnahmegenehmigungen, die die Beichte erst nach der Erstkommunion ermöglichten.

Zwischenfrage: Was ist der Vorteil? Und überhaupt: warum soll denn die Erstkommunion so früh erfolgen?

Jetzt gilt es, das Thema umfassend anzugehen.

Richtig, dann aber auch bitte wirklich umfassend, und nicht nur im Blick auf die Beichte. Und damit meine ich: den Weg der Initialisierung in die Christwerdung bei Beibehaltung der bei uns bis jetzt immer noch üblichen Kindertaufe.

Vielleicht könnte für Papst Franziskus ja das gerade begonnene Heilige Jahr der Versöhnung ein Anlass sein, das Kirchenrecht in Bezug auf die Kinderbeichte ändern.

Zwischenrufe: Das ist zu kurz gedacht. Es braucht mehr. Ganz besonders ein Überdenken der aktuellen Praxis der Spendung des Sakramentes der Firmung. Machen wir uns doch nichts vor: paradoxer oder perverser Weise: ausgerechnet das Sakrament der Mündigkeit ist zum großen Abschiedsfest von der Kirche geworden. Und alle spielen mit, besonders die Bischöfe.


Ein Gastbeitrag von P. Willibrord Driever OSB


Samstag, 1. Februar 2025

Von der Faszination historischer Aufnahmen (7) - Rudolf Kempes' Dresdner Meistersinger

Richard WAGNER (1813-1883) 
Die Meistersinger von Nürnberg – Oper in drei Akten (1868)

Hans Sachs – Ferdinand Frantz;  Veit Pogner – Kurt Böhme;  Sixtus Beckmesser – Heinrich Pflanzl;  Fritz Kothner – Karl Paul; Walther von Stolzing – Bernd Aldenhoff;  David – Gerhard Unger; Eva – Tiana Lemnitz.  - Chor der Staatsoper Dresden. - Staatskapelle Dresden. - Rudolf Kempe 
rec. 29. April 1951, Dresden
PROFIL PH13006 [4 CDs: 79,51 + 61,59 + 65,54 + 53,21]

Dresden hat zweifellos eine lange Inszenierungstradition der „Meistersinger von Nürnberg“, mit weit über 500 Aufführungen seit der Dresdner Uraufführung 1869. Diese fast 4½ Stunden lange Aufnahme von 1951 wurde unter Verwendung der Original-Masterbänder produziert, genauer gesagt 19 Magnetbandspulen, die in einem Lager des Forschungszentrums des Berliner Rundfunks entdeckt wurden, wo sie seit den späten 1950er Jahren gelagert waren. Hier ist nun beim Remastering das Kunststück gelungen, die originalen Bänder klanglich maximal auszuloten und somit diese immerhin schon 74 Jahre alte Aufnahme in neuem Klanggewand zu präsentieren. Das Ergebnis: Es gibt keine andere Aufnahme, in der man so viel vom Text versteht, wie in dieser.  

Ferdinand Frantz stiehlt auf dieser Aufnahme mit seiner Darstellung des Schuster Hans Sachs verdientermaßen allen die Show. Er macht keinen Fehler. In Sachs’ Flieder-Monolog im 2. Akt und Wahn-Monolog im 3. Akt kommt Frantz’ runder Ton sehr wirkungsvoll zur Geltung, verankert durch sein kräftiges und festes, tiefes Register. Besonders gelungen sind auch das Schusterlied im 2. Akt und Verachtet mir die Meister nicht im 3. Akt zum Lob der heiligen deutschen Kunst. 

In ihrer Blütezeit war Tiana Lemnitz’ Darstellung der Eva eine ihrer Paraderollen. In dieser Aufnahme, in der sie Mitte fünfzig gewesen sein muss, singt selbstbewusst eine reife Eva, wobei ihre strahlende, fließende Stimme immer noch die hohen Töne mühelos erreicht. 

In der Rolle des Walther von Stolzing übernimmt der Duisburger Heldentenor Bernd Aldenhoff den jungen Ritter aus Franken. Aldenhoff, der als gelassener und sensibler Wagnerianer bekannt ist, war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme Mitglied der Staatsoper Dresden. Später in der Saison spielte er seinen ersten Siegfried bei den Bayreuther Festspielen. Walthers anspruchsvolles Preislied aus dem 3. Akt, ein Liebeslied an Eva, wird von Aldenhoff eindrucksvoll dargeboten. Seine Stimme ist nicht zu hell, mit wunderbar klarer Diktion, hat eine starke Zugkraft und kann bis fast auf eine baritonale Ebene hinunterreichen. 

Gerhard Unger war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme etwa 35 Jahre alt und seine Stimme passt problemlos zu Sachs' jungem Lehrling David, einer seiner Paraderollen. Kurt Böhme singt die Rolle des Goldschmieds Veit Pogner. Seine Stimme klingt reif, ist einigermaßen fest und behält hier durchgehend ihren dunklen Ton bei. 

Mit dem durchweg attraktiven Spiel der Staatskapelle gelingt es Rudolf Kempe, die breite Dynamik mit der Melodielinie auszubalancieren. Diese vorliegende epische Dresdner Aufführung von Kempe gehört zu den besten, die ich je gehört habe. Wir hören eine enorm ausgewogene Besetzung, die mit einer Spontanität singt, die man bei Studioaufnahmen nur selten findet.
 
Kurz gesagt, dies sind Meistersinger, die man unbedingt gehört haben sollte.


Mittwoch, 29. Januar 2025

Musik vom Himmel: Bruckners Motetten


Anton Bruckner (1824-1896) gilt als einer der größten Symphoniker des 19. Jahrhunderts. Aber auch Chormusik war ein integraler Bestandteil des Schaffens des Komponisten. Dieses Album enthält eine Auswahl kleinerer Chorwerke, die zwischen 1848 und 1892 geschrieben wurden. Viele dieser Werke gerieten lange in Vergessenheit. Doch nach einer langen Zeit am Rande der Chorwelt sind Bruckners Motetten nun endlich in ein breiteres Bewusstsein zurückgekehrt. Der Lettische Radiochor (LRC) zählt zu den besten professionellen Kammerchören in Europa und sein ausgeprägter Geschmack für musikalisches Material, die Feinheit des Ausdrucks und sein unglaublich großer Stimmumfang haben ihn zu einer bekannten Marke auf der Weltkarte gemacht. Das Repertoire des LRC reicht von der Musik der Renaissance bis zu den anspruchsvollsten Partituren moderner Komponisten; Man könnte es als Klanglabor bezeichnen: Die Sänger erforschen ihre Fähigkeiten, indem sie sich den Geheimnissen des traditionellen Gesangs sowie der Kunst des Viertelton- und Obertongesangs und anderen Techniken der Klangerzeugung widmen. Der Chor hat ein neues Verständnis der Möglichkeiten einer menschlichen Stimme etabliert; Man könnte auch sagen, dass der Chor der Schöpfer eines neuen Chorparadigmas ist: Jeder Sänger ist ein eigenständiges Individuum mit seiner eigenen Stimmhandschrift und seinen eigenen Rollen bei Aufführungen.

Dienstag, 28. Januar 2025

Das Kloster des Schweigens

Schwester Agnes tritt in das Kloster des Schweigens ein. Die Oberin Mutter Theresa erklärt ihr:, "Dies ist ein Kloster des Schweigens. du bist willkommen, so lange du nicht sprichst, bis ich dir sage, daß du etwas sagen darfst." Schwester Agnes ist einverstanden und nickt stumm.

Fünf volle Jahre lebt Schwester Agnes schweigend im Kloster. An ihrem fünften Jahrestag besucht Mutter Theresa sie und sagt: "Schwester Agnes, du bist jetzt fünf Jahre hier. Du darfst zwei Worte sagen. " Darauf meint Schwester Agnes: "Bett hart." "Es tut mir leid, das zu hören," sagt Mutter Theresa, "wir werden dir ein weicheres Bett besorgen."

Es vergehen nochmals fünf Jahre bis Mutter Theresa wieder zu Besuch kommt und sagt: "Schwester Agnes, du bist nun zehn Jahre bei uns. Du darfst zwei Worte sagen." Schwester Agnes klagt: "Essen kalt." Mutter Theresa verspricht ihr, dass das Essen in Zukunft besser sein wird.

An ihrem fünfzehnten Jahrestag im Kloster besucht sie wiederum Mutter Theresa und sagt: "Schwester Agnes, du bist nun schon fünfzehn Jahre bei uns. Du darfst zwei Worte sagen." "Ich gehe." sagt Schwester Agnes. Daraufhin nickt Mutter Theresa und meint: "Das ist wahrscheinlich auch besser so. Seitdem Du hier bist, zickst du nur rum..."

Dienstag, 21. Januar 2025

Digitale Ringvorlesung: Spiritualität der Orden

Die Orden und geistlichen Gemeinschaften sind Träger großer Spiritualitätstraditionen. Sie verwirklichen die Suche nach Gott, die Nachfolge Christi und ihren Einsatz für Menschen und Welt in einem Leben in Gemeinschaft. Drei Semester lang luden Ordenschristen in ihren Vorträgen dazu ein, diese Traditionen als Quellen der Inspiration neu zu entdecken und machten sie als geronnene geistliche Erfahrungen für die gegenwärtigen Herausforderungen und spirituellen Suchbewegungen fruchtbar.

Montag, 20. Januar 2025

Musik, die das Leben lebenswerter macht: Chaillys Beethoven-Zyklus mit dem Gewandhausorchester

Mit Ausnahme der Staatskapelle Dresden, die älter ist, gibt es kein deutsches Orchester, das mehr Tradition trägt als das Leipziger Gewandhaus. Es handelt sich um das älteste städtische Orchester der Welt, das 1743 von musikbegeisterten Bürgern und nicht von einem Fürstenhof gegründet wurde. Zu ihren früheren musikalischen Leitern gehörten Mendelssohn selbst sowie Nikisch, Furtwängler und Walter. Darüber hinaus gaben sie 1825 den allerersten vollständigen Zyklus von Beethoven-Symphonien in der Musikgeschichte. Man könnte also meinen, dass niemand stärker mit der klassischen deutschen Tradition des Beethoven-Spiels mit seinen traditionell breiten Tempi und dichten Texturen identifiziert würde. Ganz und gar nicht. Chailly, der diese Erwartung sicherlich kannte, als er sich an das Programm machte, hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Vorfreude auf den Kopf zu stellen. Seine größte Leistung besteht darin, uns geschmeidiges Spiel, leichte Texturen und agile Tempi zu bieten und gleichzeitig einer vollen symphonischen Textur treu zu bleiben, die diese Musik mit Leben erfüllt und die Spannung wieder einfängt, die man empfindet, wenn man Beethovens Musik zum allerersten Mal hört. 

Dies ist vor allem ein explosiv schneller Zyklus. Chailly bleibt Beethovens Metronomangaben absolut treu – sogar jenen, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts fast sicher nicht umgesetzt werden konnten, wie etwa der für das Finale der Zweiten. Gelegentlich – etwa im Eröffnungssatz der Eroica – scheint die Geschwindigkeit der Musik etwas von ihrer Schwere zu rauben, aber die Straffheit des Spiels, die Detailgenauigkeit – insbesondere der Holzbläser – und die phänomenale dynamische Bandbreite, die dem Gewandhausorchester zur Verfügung steht, bedeuten, dass Chailly immer dann Gewicht und Dramatik zur Verfügung hat, wenn er sie braucht. Der Klang erhält durch die Akustik des Gewandhauses zusätzliche Wärme, aber wie donnernd einige der Höhepunkte auch sein mögen, ob in den frühen Symphonien, die die späteren Revolutionen vorwegnehmen, oder in Werken wie der Fünften, Siebten und Neunten in all ihrer Majestät, die Texturen dieses herausragenden Orchesters bleiben wunderbar transparent. 

Das Ergebnis ist ein Beethoven-Zyklus, der sich mit den besten modernen Orchesterversionen der letzten Zeit messen kann, von Abbado (für Deutsche Grammophon) und Rattle (EMI), und der zudem das scheinbar Unmögliche schafft – die Musik wie neu geschaffen erscheinen zu lassen, ohne auch nur die geringsten Zugeständnisse an die historische Aufführungspraxis zu machen. Das Set enthält außerdem sieben Ouvertüren Beethovens – die ersten beiden Leonora-Ouvertüren fehlen – und es ist bemerkenswert, vergleichsweise seltene Stücke wie Die Ruinen von Athen und König Stephan mit der gleichen Intensität wie die Symphonien zu hören. Sie sind das Sahnehäubchen auf dem Kuchen.

Benedikt XVI. über die Musik


Dankesworte von Benedikt XVI., Papa emeritus, zur Verleihung des Ehrendoktorats der Päpstlichen Uni Johannes Paul II. und der Musik-Akademie von Krakau (Polen), Castel Gandolfo, 4. Juli 2015

In dieser Stunde kann ich nur ein großes Wort herzlichen Dankes sagen für die Ehre, die Sie mir mit dem Doctoratus honoris causa geschenkt haben. Mein Dank gilt besonders dem Großkanzler, der lieben Eminenz Kardinal Stanisław Dziwisz, und den akademischen Autoritäten der beiden Akademischen Institutionen. Ich freue mich vor allem, daß auf diese Weise meine Verbindung mit Polen, mit Krakau, mit der Heimat unseres großen heiligen Johannes Paul II. noch tiefer geworden ist. Denn ohne ihn ist mein geistlicher und theologischer Weg nicht denkbar. Er hat uns auch durch sein lebendiges Beispiel gezeigt, wie die Freude an der großen Kirchenmusik und der Auftrag zur gemeinsamen Teilnahme an der heiligen Liturgie, wie die festliche Freude und die Einfachheit der demütigen Feier des Glaubens miteinander gehen können.

An dieser Stelle war ja ein uralter Gegensatz in den Jahren der Nachkonzilszeit mit neuer Leidenschaft aufgebrochen. Ich selber bin im Traditionsraum von Salzburg aufgewachsen. Die festlichen Messen mit Chor und Orchester gehörten ganz selbstverständlich zu unserem gläubigen Erleben der Liturgie. Es bleibt mir unvergessen, wie zum Beispiel mit den ersten Klängen der Krönungsmesse von Mozart irgendwie der Himmel aufging und die Gegenwart des Herrn ganz tief zu erleben war. Aber daneben war doch auch schon die neue Welt der Liturgischen Bewegung gegenwärtig, besonders durch einen unserer Kapläne, der später Subregens und Regens in Freising wurde. In meinem Studium in München bin ich dann durch die Vorlesungen von Professor Pascher, einem der bedeutenden Konzilsexperten, und vor allem durch das liturgische Leben in der Seminargemeinschaft ganz konkret in die Liturgische Bewegung hineingewachsen. So wurde langsam die Spannung zwischen der der Liturgie gemäßen participatio actuosa und der die heilige Handlung überwölbenden festlichen Musik spürbar, auch wenn ich sie noch nicht allzu stark empfunden habe.

In der Liturgie-Konstitution des II. Vatikanischen Konzils steht ganz klar der Satz: „Der Schatz der heiligen Musik muß mit größter Sorge bewahrt und gefördert werden“ (114). Auf der anderen Seite steht die Betonung der participatio actuosa aller Gläubigen am heiligen Geschehen als liturgische Grundkategorie im Text. Was in der Konstitution noch friedlich beieinander ist, ist dann in der Rezeption des Konzils in eine oft dramatische Spannung zueinander getreten. Maßgebende Kreise der Liturgischen Bewegung waren der Meinung, die großen Chorwerke und gar die Orchester-Messen hätten in Zukunft nur noch Raum in den Konzertsälen, nicht in der Liturgie. In ihr könne nur das gemeinsame Singen und Beten aller Gläubigen Platz haben. Auf der anderen Seite war da das Erschrecken über die kulturelle Verarmung der Kirche, die damit verbunden sein mußte. Wie läßt sich beides zusammenbringen? Wie ist das Konzil in seiner Ganzheit zu verwirklichen – das waren die Fragen, die sich mir und vielen anderen Gläubigen, einfachen Menschen wie theologisch Gebildeten, aufdrängten.

Vielleicht ist es richtig, an dieser Stelle die Grundfrage zu stellen: Was ist das überhaupt – Musik? Was ist ihr Woher und was ist ihr Wozu? Ich denke, man könne drei Ursprungsorte der Musik ausmachen.
- Ein erster Ursprung ist die Erfahrung der Liebe. Wenn Menschen von der Liebe ergriffen wurden, ging eine andere Dimension des Seins auf, eine neue Größe und Weite der Wirklichkeit. Und die drängte auch zu einer neuen Weise sich auszudrücken. Poesie, Gesang und Musik überhaupt sind ganz von selbst durch dieses Getroffensein, durch dieses Eröffnetsein einer neuen Dimension des Lebens entstanden.

- Ein zweiter Ursprungort der Musik ist die Erfahrung der Trauer, die Berührung durch den Tod, durch Leid und die Abgründe des Daseins. Auch hier eröffnen sich, nach der anderen Seite hin, neue Dimensionen der Wirklichkeit, die mit dem Reden allein nicht mehr beantwortet werden können.

- Endlich der dritte Ursprungsort der Musik ist die Begegnung mit dem Göttlichen, die von Anfang an zum Menschsein gehört. Hier erst recht ist das ganz Andere und Große da, das im Menschen neue Weisen hervorruft sich auszudrücken. Vielleicht kann man sagen, daß in Wirklichkeit auch in den beiden anderen Bereichen – Liebe und Tod – uns das göttliche Geheimnis berührt und in diesem Sinn insgesamt das Angerührtwerden von Gott Ursprung der Musik ist. Ich finde es bewegend zu sehen, wie etwa in den Psalmen den Menschen auch das Singen nicht mehr ausreicht, sondern alle Instrumente aufgerufen werden – die verborgene Musik der Schöpfung, ihre geheimnisvolle Sprache geweckt wird. Mit dem Psalterium, in dem ja auch die beiden Motive Liebe und Tod immer wirksam sind, stehen wir direkt am Ursprung der Musik der Kirche Gottes. Man kann wohl sagen, daß die Qualität der Musik an der Reinheit und Größe der Begegnung mit dem Göttlichen, mit der Erfahrung der Liebe und des Schmerzes steht. Je reiner und je wahrer diese Erfahrung ist, desto reiner und größer wird auch die Musik sein, die daraus hervorwächst.

An dieser Stelle möchte ich einen Gedanken vorbringen, der mich in letzter Zeit immer mehr beschäftigt, je mehr die verschiedenen Kulturen und Religionen miteinander in Beziehung treten. Es gibt große Literatur, große Architektur, große Malerei, große Skulpturen in den verschiedensten kulturellen und religiösen Räumen. Überall gibt es auch Musik. Aber Musik von der Größenordnung, wie sie im Raum des christlichen Glaubens entstanden ist – von Palestrina, Bach, Händel zu Mozart, zu Beethoven und zu Bruckner – gibt es in keinem anderen Kulturraum. Die abendländische Musik ist etwas Einzigartiges, ohne Entsprechung in anderen Kulturen. Dies muß uns zu denken geben.

Natürlich reicht die abendländische Musik weit über den Bereich des Kirchlichen und Religiösen hinaus. Aber ihren inneren Quellort hat sie doch in der Liturgie. Bei Bach, für den die Herrlichkeit Gottes letztlich Ziel aller Musik war, ist dies ganz deutlich. In der Begegnung mit dem Gott, der uns in der Liturgie in Jesus Christus begegnet, ist die große und reine Antwort der abendländischen Musik gewachsen. Sie ist für mich ein Wahrheitsbeweis des Christentums. Wo solche Antwort wächst, ist Begegnung mit der Wahrheit, mit dem wahren Schöpfer der Welt geschehen. Deswegen ist die große Kirchenmusik eine Realität von theologischem Rang und von immerwährender Bedeutung für den Glauben der ganzen Christenheit, auch wenn sie keineswegs überall und immer aufgeführt werden muß. Aber andererseits ist doch auch klar, daß sie nicht aus der Liturgie verschwinden darf und daß ihre Gegenwart eine ganz besondere Weise der Teilhabe an der heiligen Feier, am Geheimnis des Glaubens sein kann.

Wenn wir an die vom heiligen Johannes Paul II. in allen Kontinenten gefeierte Liturgie denken, sehen wir die ganze Breite der Ausdrucksmöglichkeit des Glaubens im liturgischen Geschehen, und wir sehen auch, wie die große Musik der abendländischen Tradition nicht liturgiefremd ist, sondern aus ihr gewachsen und so immer neu mitgestaltend. Wir wissen nicht, wie es mit unserer Kultur und mit der Kirchenmusik weitergeht. Aber eines ist klar: Wo wirklich Begegnung mit dem in Christus auf uns zugehenden lebendigen Gott geschieht, wächst aucher wieder Antwort, deren Schönheit aus der Wahrheit selber kommt.

Die Arbeit der beiden Universitäten, die mir dieses Doktorat honoris causa verleihen, ist ein wesentlicher Beitrag, daß das große Geschenk der Musik, die aus der Überlieferung des Glaubens kommt, lebendig bleibt und helfen wird, daß die schöpferische Kraft des Glaubens auch in Zukunft nicht erlischt. So danke ich Ihnen allen von Herzen, nicht nur für die Ehre, die Sie mir geschenkt haben, sondern für alle Arbeit, die Sie im Dienst der Schönheit des Glaubens tun. Der Herr segne Sie alle.
(rv)

Donnerstag, 16. Januar 2025

Wıe man zum Wagnerianer wird

Dieses Buch eignet sich perfekt für alle, die im Pausengespräch glänzen wollen. In zehn Lektionen führen die Autoren Anfänger und Fortgeschrittene mit kleinen Anekdoten, unterhaltsamen und informativen Geschichten rund um Richard Wagner in dessen Imperium und Werk ein. Und es räumt so nebenbei mit einigen Mythen auf. Denn hier wird enthüllt: Ludwig ll. hatte gar kein Schwanenboot! Ätsch. Seine Liebe für Schwäne hatte er lange vor der Oper „Lohengrin“ entdeckt, und rüber nach Herrenchiemsee fuhr er - ganz unspektakulär - mit einem modernen Dampfschiff. Ansonsten geht's um Wagner und das liebe Geld, Wagner und die Psychoanalyse, Wagner und die Frauen und um die Wagnersche Nachlassverwaltung durch Ehefrau Cosima. Das Beste: Das Buch eignet sich auch hervorragend für diejenigen, die mit Wagner so gar nichts anfangen können, denn hier wird endlich einmal erklärt, warum „da capo“ bei Wagner einfach so gar keinen Sinn macht. Deswegen: Kaufen Sie dieses Buch. Und dann: lesen, lachen, lieben.