Donnerstag, 11. Mai 2006

Auch die Seele kennt Tag und Nacht


Martini, Carlo M.:
Auch die Seele kennt Tag und Nacht : Reflexionen für Zeiten innerer Prüfung / Carlo Maria Martini. [Aus dem Ital. von Wolfgang Bader] - München : Verl. Neue Stadt, 2005. - 78 S. - ISBN 3-87996-636-2

Carlo M. Kardinal Martini, einer der am meisten gelesenen geistlichen Autoren unserer Zeit, gibt dem Leser mit diesen Reflexionen „Auch die Seele kennt die Nacht“ eine nützliche Hilfe, die Zeiten innerer Prüfung zu deuten und zu bestehen. Dabei geht es dem langjährigen Erzbischof von Mailand darum, den Wechsel von hellen Tagen und von Zeiten der Finsternis in unserem Inneren, die Grunderfahrung eines wohl jeden Menschen, im Licht des Glaubens zu begreifen und anzunehmen: „Wir schauen auf die inneren Tiefen und Windungen des menschlichen Herzens. Wir versuchen zu unterscheiden, was Gott tut und was eine Auswirkung des Bösen ist“ (S. 8). Der Autor weist selbst darauf hin, dass seine Überlegungen und Betrachtungen in großer Nähe zu Regeln aus dem Exerzitienbüchlein des hl. Ignatius von Loyola stehen, die auch unter dem Begriff „Unterscheidung der Geister“ bekannt wurden: „Darin verbirgt sich ein großer Schatz von psychologischen Intuitionen“ (S. 9).

Im ersten Kapitel betrachtet Martini die „Nacht der Sinne“, Gefühle und Empfindungen die nicht unseren Werten und Überzeugungen entsprechen. Es sind dies die Zeiten der inneren Trostlosigkeit: „Dunkelheit der Seele, Verwirrung in ihr, Regung zu niederen und irdischen Dingen, Unruhe von verschiedenen Bewegungen und Versuchungen (Nervosität, Anspannung und negative Besetztheiten), Momente in denen die Seele träge, lau, traurig, ohne Liebe und Hoffnung ist.“ Nach einem Blick auf das Leben der Mutter Jesu, als vorbildhaftes Beispiel einer Begegnung und Überwindung der „Nacht des Herzens“, gibt Martini drei ganz konkrete Anregungen und Hilfen, um diese Zeiten der „dunklen Nächte“ und Trostlosigkeit auch zu überwinden: 1. Sich nicht wundern! – 2. Keine Entscheidungen fällen! – 3. Weiter beten!

Gerade in diesen kurzen, prägnanten und praktischen Hilfestellungen für die Zeiten der inneren Trockenheit im alltäglichen Leben liegt m.E. der ganz besondere Wert und praktische Nutzen dieses Büchleins. Abgeschlossen wird das Kapitel, wie auch alle folgenden, durch Denkanstösse und „Anregungen zum Nachdenken“ die jeweils danach fragen, was die Erfahrungen, die Maria und andere Personen gemacht haben, für uns heute bedeuten könnten.

Und auch im zweiten Kapitel „über die Nacht des Glaubens“ kommt Martini, wenn er den amerikanischen Geistlichen T. Green zitiert, gleich auf die praktische Ursache dieser „Glaubensnacht“ zu sprechen. „Wir gehen zu einem Gebetskreis, in eine Kirche, wir nehmen teil an einer liturgischen Feier, und wir erwarten, dass wir in uns etwas spüren. Spüren wir nichts, gewinnen wir den Eindruck, wir wären innerlich erkaltet. Das heißt, wir setzten das Beten gleich mit ,etwas spüren’ ... Viele von uns sind gewohnt, sofort das Ergebnis von dem zu sehen, wofür sie sich einsetzen. Und daran finden sie Gefallen. Daher blockiert es unseren Glaubensweg, wenn das Gebet nicht reich an guten Gedanken, an innerem Schwung, an tiefem Licht ist. Doch die Zeiten, in denen wir nichts spüren, sind nicht unfruchtbar, denn so wird das Gebet weniger ichbezogen und mehr ausgerichtet auf Gott. Wir lernen, wie Teresa von Avila es formulierte, den Gott des Trostes zu suchen und nicht die Tröstungen Gottes“ (S. 26). Hier fehlt es durchaus nicht an geistlicher und auch kirchlich-liturgischer Selbstkritik!

Die „Nacht des Glaubens“ sieht Martini aber auch in der Gottferne der heutigen Gesellschaft liegen, in der er am Ende dieses Kapitels zu sprechen kommt. Dennoch sieht er diese auch als eine Chance: „Sehe ich sie misstrauisch, pessimistisch oder als Ort, wo mein eigener Glaube geprüft wir und ich mit Jesus die Last dieser Welt tragen kann?“ (S. 38).

Nach der Betrachtung der „dunklen Zeiten des Herzens“ wendet sich Kardinal Martini in den nächsten drei Kapiteln dem Licht zu, „das nach der Finsternis“ aufstrahlt. Dabei unterscheidet er den „Trost des Geistes“, der sich im Nachsinnen über die Heilige Schrift und des göttlichen Heilsplans erkennen lässt und den Verstand erleuchtet, vom „Trost des Herzens“, der unser Gefühlsleben und unsere innere Befindlichkeit berührt und lenkt (S. 54). Der „Trost des Lebens“ schließlich ist in der Lage „im Tag die Nacht zu erkennen und in der Nacht das Licht zu sehen“ (S. 70). Den „Trost des Lebens“ erleben wir, „wenn uns in den dunklen Augenblicken eine Kraft begleitet, von der wir meinten, wir besäßen sie gar nicht. Wir fühlen uns von Gott und von den Menschen im Stich gelassen, doch in der Rückschau erkennen wir, dass der Herr uns begleitet hat auf unserem Weg ... Wenn wir auf unserem Weg und die Zeiten der Prüfungen zurückschauen, erfüllt uns manchmal Dankbarkeit, dass Gott gewirkt hat, dass er ‚wachsam’ war in jenen schwierigen Momenten ... Wenn wir in das Verborgene unseres Lebens schauen, begegnen wir dem Vater, hören wir seine Stimme. Und wir erkennen, dass ein solch schöner Weg die Mühe des Durchhaltens lohnt“ (S. 76ff).

In diesen letzten drei Kapiteln lenkt Martini einfühlsam den Blick auf die Sterne in der Nacht der Seele. Und auch hier findet man immer wieder präzise und klare Anregungen wie beispielsweise: „ - Zeiten und Räume des Schweigens suchen: Zu viel Lärm, zu viel Chaos, zu viele Worte können die Gabe [des Trostes des Geistes] ersticken ... Wir sollten alles fernhalten, was dieser Gabe entgegensteht. Dazu gehört zum Beispiel eine übermäßige Sorge um das Leben“ (S. 50). So findet man zahlreiche Orientierungshilfen beim Aushalten der Dunkelheit und Nacht-Situation, besonders auch in den konkreten Anregungen und den betrachtenden Gebeten, in denen die einzelnen Kapitel münden.

Martinis Buch ist ein wertvoller und sehr empfehlenswerter Wegweiser durch seelische Nacht- und Durststrecken, um durch sie im Glauben zu reifen.

P. Siegfried Wewers OSB

(Rezension für die ORDENSKORRESPONDENZ)

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