Mittwoch, 4. März 2009

Die Kirche, das Konzil und die Hesselbachs

(Foto: Die in den 60er Jahren beliebte Fernsehfamilie Hesselbach)

Der Kulturjournalist Alexander Kissler führt ein originelles Online-Tagebuch. In seinem Eintrag vom 2. März 2009 schreibt er Folgendes:

Liebling, ich habe den Glauben geschrumpft: Einem Außenstehenden kann dieser Stoßseufzer entfahren, hört er das in diesen Tagen mantragleich aus allen Radiogeräten und Fernsehschirmen und Zeitungsseiten hervorquellende Bekenntnis, es könne innerhalb der katholischen Kirche „kein Zurück“ geben hinter das Zweite Vatikanische Konzil.

Natürlich, denkt der Außenstehende sich da zunächst, kann im Jahr 2009 nicht per Zeitmaschine die Zeit vor 1962 wiederhergestellt werden. Natürlich kann niemand mit wachem Verstand sich aus der Gegenwart derart brachial verabschieden wollen, dass er die Zeit seitdem im Geiste durchstreicht. Insofern ist es die blanke Selbstverständlichkeit, die sich da mit Getöse ergießt.

Aber, ließe sich in einem zweiten Schritt fragen, ist ein Zurück zum offenbar zur Konservierung freigegebenen Zweiten Vatikanischen Konzil nicht auch ein Zurück? Ist ein Zurück in die Jahre 1962 bis 1965 statthaft, ja moralisch geboten, eines in die Jahre vor 1962 aber ruchlos? Denn, da beißt die Kirchenmaus keinen Faden ab, das Zweite Vatikanum atmet den Geist einer Epoche, die versunken ist wie die damals eine Nation erwärmende Fernsehfamilie Hesselbach und deren Polkamusik ...

("Hesselbach-Polka")

Die Hesselbachs sind schwarzweiß geblieben, man hat sie nicht koloriert. Man kann sie noch immer mit Genuss sehen, als Sittenbild einer untergegangenen Epoche mit Schrankwand und Nierentisch und Häkeldecke. Geschichte ist weit und groß, sie wächst täglich, und immer trennt ein Abgrund uns von ihr. Unredlich aber wäre es, diesen Abgrund für eine Brücke zu halten und munter ins Gestern fortzuschreiten.

Es käme heute, wie stets, darauf an, das Gesamt der Tradition schöpferisch weiterzutragen. Es käme darauf an, nicht mit dem Codewort „Kein Zurück!“ eine aschfahl gewordene Modernität lebendig zu schminken. Solchermaßen schrumpft der Glaube auf das Heute der frühen sechziger Jahre und sieht also sehr alt aus. Die Binsenweisheit gilt auch hier: Je enger eine Zeit sich an ihre Gegenwart kettet, desto schneller wird sie Vergangenheit ...

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